Samstag, 4. August 2018

Vom Fischerdorf zum Dreiländereck

Tief stand der Nebel als heute früh der Wecker klingelte. Genau wie das Wetter kamen auch wir nicht auf Touren und faulenzten noch eine Weile im Bett herum. Das zahlte sich heute ausnahmsweise jedoch sogar aus. Denn als wir noch beim Frühstück sassen, verzog sich der Nebel immer mehr. Das freute uns natürlich sehr und wir machten uns auf den Weg zum Fussballplatz, der den Start für die Wanderung nach Ranvika markierte.

Dort angekommen packten wir unsere sieben Sachen, schnürten die Wanderschuhe und sagten dem Womo auf Wiedersehen. Zwei Stunden pro Weg veranschlagten die Guides im Dorf für ihre Touren und so machten wir uns auf etwa anderthalb Stunden gefasst. Die Strecke schien mit knapp fünf Kilometern gar nicht so weit. Doch wir bemerkten schon bald, dass wir einen kleinen Bergpass zu bezwingen hatten. Der Trampelpfad führte uns leicht, aber stetig, bergan. Zu gross geratene Steinmännchen wiesen uns den Weg und wir fragten uns lange, wer sich die Mühe macht, solch grosse Steinhaufen zur Wegmarkierung zu bauen. Nach gut 30 Minuten Anstieg erkannten wir, dass die Steinhaufen früher als Fundamente für die Holzmasten der Stromleitung nach Ranvika dienten. Einzelne Masten standen hier auf der „Passhöhe“ noch, an einem hing ein Briefkasten mit dem obligaten Gipfelbuch. Doch das ehemalige Fischerdorf Ranvika lag ja am Meer und so stand uns ein langer und steiler Abstieg bevor. Wir waren schon beinahe in dem kleinen Dorf angekommen, als uns plötzlich ein grosses Rentier den Weg versperrte. Es bewegte sich nicht vom Fleck. Das war gut um Fotos zu schiessen, jedoch schlecht um ins Dorf zu gelangen. Das Tier hatte keine Angst vor uns, was wir umgekehrt nun nicht mehr sagen konnten. Durchdringend starrte uns das Rentier an, als wir in einem Bogen um das majestätische Tier herumwanderten. 






Nun waren wir endlich in Ranvika angekommen. Ein altes Fischerdorf, direkt an einer wunderschönen Steinbucht. Das Dorf war lange verlassen doch mittlerweile wurden einige der kleinen Häuschen renoviert und werden wieder genutzt, immerhin als Wochenendhäuschen. Es sieht jedoch danach aus, dass diese Bewohner die Bucht per Boot bereisen und nicht erwandern. Die zweite Attraktion von Ranvika sah dafür wesentlich verlassener aus. Am Vogelfelsen konnten wir keinen einzigen Vorgel entdecken. Auch der übliche Vogelkot schien schon sehr verblichen und Nester dieser Brutsaison waren ebenfalls keine auszumachen. So schätzen wir, dass der Vogelfelsen schon länger nicht mehr von den Vögeln besucht wurde. Was uns dafür faszinierte war das Konzert der Rolling Stones am Strand. Nein nicht Mick Jagger und seine Jungs – rollende Steine. Der steil abfallende Strand bestand komplett aus kleinen, rundgeschliffenen Steinen. Durchmesser vielleicht fünf bis zehn Zentimeter. Bei jeder Welle wurden die Steine ein wenig den Strand hoch gespült und kullerten danach wieder hinunter. Ein sehr spezielles und unbeschreibliches Geräusch. Wie viele rollende Steine eben. Dies gefiel uns so sehr, dass wir uns auf einen grossen Stein am Strand setzten und uns eine Nektarine und einen Keks gönnten. Abschliessend wollten wir noch etwas hier an diesem speziellen Ort belassen, was es hier unverständlicherweise noch nicht gab. Einen Geocache. Ein kleiner PETling reist mit uns mit, seitdem wir ihn am Bingo-Event der Zürcher Oberländer erspielt hatten. Nun war seine Zeit gekommen in die Freiheit entlassen zu werden. Mit bester Aussicht auf Ranvika. Mal sehen ob die Norwegischen Reviewer ihn veröffentlichen werden. Touristencaches sind hier in Norwegen sehr häufig und funktionieren darum auch bestens. 






Beim Rückweg mussten wir erst wieder am Rentier vorbei. Doch das Vieh hatte doch wirklich Verstärkung geholt und nun standen drei grossgewachsene Männchen dort. Wir leiteten wiederum eine Umleitung ein und wurden von den Rentieren lachend beobachtet, wie wir im steilsten Gelände herumirrten und einen Weg suchten. Wir fanden ihn jedoch und machten uns danach an den restlichen Aufstieg. Schwül und drückend war es geworden und wir waren durchnässt, als wir die Passhöhe erreichte. Einen kleinen Abstieg später hatten wir die zehn Kilometer Weg geschafft – in zwei Stunden und fünf Minuten. Also der Hälfte der Zeit. Eine wirklich wunderschöne Wanderung, welche wir (wie so ziemlich die ganze Reise) unseren beiden daheimgebliebenen Freunden verdanken.

Nun war es aber an der Zeit dem schönen Dorf Bugoynes den Rücken zu kehren und auf der E6 weiter gegen Osten zu rollen. Ein erster kleiner Halt legten wir auf dem Parkplatz des Skoltefoss ein. Da sich gerade ein Reisecar ebenfalls am Parkplatz breit machte und seine Leute in die Wildnis entliess, machten wir uns erst ans Mittagessen. Danach hatten wir den Wasserfall, oder eher die grosse Kaskade, ganz alleine für uns. Doch die beste Aussicht, die von der Brücke, blieb uns leider versperrt. Anscheinend ist der Fussweg dort einsturzgefährdet. Anders konnten wir uns die übermässige Nutzung von dem weiss roten Flatterband nicht erklären. 



Wir folgten der E6 nun noch bis an ihr Ende. Die historische Stadt Kirkenes. Keine norwegische Stadt bekam im zweiten Weltkrieg so viel ab wie Kirkenes. Über 300 Mal wurde die Stadt von den Sowjets bombardiert, welche die Deutschen am Marsch gegen Murmansk hindern wollten. Die Menschen fanden grösstenteils Schutz in den Gängen der Erzminen, welche unter der Stadt und im Umland verliefen. Doch ihre Stadt war komplett dem Erdboden gleichgemacht als im Herbst 1944 die Rote Armee die Deutschen aus der Stadt und aus der Finnmark vertrieb. Die Nähe zu Russland war dann auch zu spüren, als wir in die Stadt einfuhren. In der Finnmark sind sämtliche Schilder meist dreisprachig (Norwegisch, Nordnorwegisch, Finnisch) doch hier kam nun auch noch Russisch dazu. Wir erledigten noch unseren letzten Einkauf bei Rema 1000 am Stadtrand und machten uns dann zur Stadtbesichtigung. Dieses Vorhaben liessen wir dann aber gleich bleiben, als wir bemerkten, dass in Kirkenes heute wohl Stadtfest war. Die Parkplätze überfüllt mit Autos und die Strassen mit Menschen. Dicht an Dicht drängten sie sich durch die Stände der Stadt.

Wir besuchten noch kurz die Shell-Tankstelle und waren glücklich, dass man dort mit Bargeld bezahlen konnte. So konnten wir noch unsere letzten 90 Franken an Bargeld loswerden. Das ist hier in Norwegen gar nicht so einfach. Wir raten jedem der einmal nach Norwegen fährt: keinesfalls Bargeld mitnehmen. An vielen Orten wie Tankstellen, Parkautomaten und kleinen Geschäften kann man nicht mit Bargeld bezahlen und überall wo man kann, ist es nicht so gerngesehen. Und ja: wir fanden in 2 Monaten Norwegen wirklich KEINE Parkuhr, welche man mit Münzen hätte füttern können. Norwegen scheint mir das erste Land, welches das Bargeld schon beinahe abgeschafft hat.

Weiter ging es nun aber zu unserem letzten Highlight in Norwegen. Über die 885 gelangt man in südlicher Richtung ab Kirkenes in den letzten Schniepel von Norwegen. Nur wenige Kilometer breit ist der Abschnitt, welcher sich zwischen Russland und Finnland gedrückt hat. Und ganz am Ende findet man deshalb ein spezielles Dreiländereck. Doch auch halbem Wege stand zuerst noch ein Besuch am Höhe 96 an. Kling grammatikalisch inkorrekt, doch Höhe 96 ist ein Wachturm der Norweger, von welchem aus man die Russen stets im Blick hatte. Bis in die Russische Industriestadt Nikel kann man hier bei gutem Wetter blicken. Im heutigen Nebel wäre die Aussicht jedoch nicht so toll, So sparten wir uns den Eintritt und betrachteten den Wachtturm nur von unten, zumal dieser auch nicht so spektakulär war wie gedacht. 




Der Reiseführer verriet uns, dass noch 50 Kilometer Teerstrasse und 20 Kilometer Schotterpiste vor uns lagen. Danach noch anderthalb Stunden Fussmarsch durch sumpfiges Gebiet und dann wären wir am Dreiländereck. Hier in der Grenzzone wiesen uns immer wieder Schilder auf das Verhalten an der Russischen Grenze hin. Ein illegaler Grenzübertritt hat auch heute noch Konsequenzen und man muss sich immer an die Wanderwege halten. Fotografieren an der Grenze oder sogar das reden oder gestikulieren mit Menschen auf der anderen Seite der Grenze sind strengstens verboten. Auf der Anfahrt hatten wir sogar einmal 8 Kilometer, auf welchen es sogar verboten war mit dem Auto anzuhalten. Doch wir hatten mehr mit der Qualität der Strasse zu kämpfen, als mit der Grenze zu Russland. Durch die absolut verlassene Gegend führte eine Teerstrasse, welche die Bezeichnung Strasse wirklich nicht verdiente. Auf weiten Abschnitten war eine Geschwindigkeit von 20km/h unmöglich zu überschreiten. Löcher, Hügel, Wellen – das Womo krächzte und stöhnte. Melanie meinte schon ziemlich bald, dass wir doch besser wenden sollen. Hätte ich Mal besser auf meine Verlobte gehört. Denn als die Teerstrasse geschafft war, entpuppte sich die Schotterpiste ebenfalls als nicht wirklich das gelbe vom Ei. Schotterpisten sind hier in Norwegen ja normal und fast alltäglich. Staubig führen sie durch die Landschaft, sind jedoch gut und meist mit so 50km/h zu befahren. Hier kamen wir auf dem ersten Kilometer nicht über Schritttempo hinaus. Wer rechnen kann weiss, dass man so für 20 Kilometer dann gerne mal zwei Stunden benötigt. Oder sicher eine Stunde. Das wollten wir jedoch weder uns noch dem Womo antun und nach einem Kilometer wendeten wir bereits wieder. Ich war wütend, diesen Weg umsonst gemacht zu haben und enttäuscht unser letztes Highlight, das Dreiländereck, begraben zu müssen. Und dann waren ja die 50 Kilometer Teer-Irgendwas zurück. Schlussendlich fanden wir kurz vor dem Höhe 96 unseren Schlafplatz. 100 Kilometer und 3 Stunden waren wir unterwegs und waren trotzdem nicht im Dreiländereck. Trotz der schönen Natur, welche wir auf der Fahr entdeckten, war das ein Schuss in den Ofen. 

Doch der Übernachtungsort, welcher Melanie uns aussuchte, lag direkt am See. Also so richtig direkt. Die Aussicht aus dem Fenster über den See ist wunderschön und schon ein kleiner Vorgeschmack auf Finnland. Zudem kochte uns Melanie ein wirklich leckeres Nachtessen und so hatte sie es geschafft, dass der Tag doch noch ein schönes Ende nahm.



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