Kurz nach dem Essen fuhr gestern
ein uns bekanntes Auto vor. Die zwei Mädels erkannten wir ebenfalls
auf den ersten Blick. Am Jägala-Wasserfall begegneten die Beiden uns
schon einmal und der war doch über 50 Kilometer entfernt. Zudem
standen wir hier echt am Arsch der Welt unter ein paar Kiefern am
Meer. Zufälle gibt es. Wir quatschten lange und so war es schon
dunkel als wir uns ins Womo verzogen und die Nacht einläuteten.
Als der Wecker klingelte, hatten
die beiden deutschen Damen ihr Zelt schon zusammengeräumt und wir
verabschiedeten uns noch kurz und erhielten netterweise viel
nützliches Infomaterial über Lettland, welches sie schon besuchten
und wir noch vor uns haben. Wir verliessen ziemlich zügig den Platz,
da wir es gestern versäumten Brot einzukaufen und so kein Frühstück
hatten. Somit war das erste Ziel klar: ein Rimi, etwa 15 Minuten
entfernt.
Auch Estland ist, wie Finnland
oder Irland, ein Land in dem es einfach kein Brot gibt. Eine riesige
Abteilung mit Toast, Croissants, Donuts, Berlinern – aber kein
einziger Laib Brot. So deckten wir uns mit einer Art Toast ein. So
gross war der Hunger nicht und wir fuhren nochmals eine Viertelstunde
bis zu unserem ersten Ziel. Dort starteten wir dann aber mit
Frühstück, ehe wir uns auf Entdeckungsreise begaben.
Nach dem Frühstück waren wir
bereit den traurigen Ort zu besichtigen. Ein ganz spezieller Friedhof
wartete am Rande des Ämari Militärflughafens im Wald. Hier wurden
die Piloten, welche von diesem Flughafen für die Sowjetunion
starteten und nicht planmässig wieder vom Himmel kamen, beerdigt.
Das spezielle daran: wenn immer noch möglich wurde die Heckflosse
des Flugzeuges mit welchem der oder die Piloten ums Leben kamen auf
ihr Grab montiert. Dies schaffte hier inmitten des Waldes eine sehr
mystische und surreale Stimmung und machte diesen Besuch zu etwas
ganz speziellem. Wir spazierten über den Friedhof und schossen Fotos
ehe wir uns wieder zum Womo begaben. Ein Kampfjet startete soeben und
machte sich laut auf den Weg zu seiner Mission. Hoffen wir, dass der
Jet und sein Pilot heil wieder zurückkehren.
Auch unser nächster Stopp hatte
seinen Ursprung in der Sowjetunion. An diesem speziellen Ort wurden
Straftäter gefangen gehalten und in der dort ansässigen Mine zum
Arbeiten verdammt. Doch leider buddelten die Gefangenen irgendwann zu
tief und die ganze Anlage füllte sich mit Grundwasser. Heute
befindet sich auf dem Areal ein See aus welchem die teilweise
versunkenen Gebäude noch hinausragen. In Kombination mit dem klaren,
blauen Wasser ergibt sich dabei ein wundervolles Fotomotiv. Das
Gelände war am ehemaligen Haupteingang komplett verschlossen und mit
viel Stacheldraht gesichert. Doch dies wussten wir aufgrund unserer
Internetrecherche. Doch wir brachten auch Koordinaten in Erfahrung
von einem kleinen Mauerabschnitt an der Seite, welcher eingestürzt
war und somit einen einfachen Eingang bot. Bald waren wir dort
angekommen und mussten feststellen, dass auch dieser Ort mittlerweile
verbarrikadiert war und mit Stacheldraht und Schildern ein Betreten
zu verhindern versucht wurde. Wir entschlossen uns das Areal nicht zu
betreten. Ein Vorbeikommen an der Umzäunung wäre möglich, doch es
ist klar ersichtlich, dass man uns hier nicht haben möchte und wir
wollten keinen Ärger. Am Haupteingang entdeckten wir noch, dass das
Gefängnis von Freitag bis Sonntag jeweils 12 bis 16 Uhr besichtigt
werden könnte – für 3 Euro. Doch es war noch nicht 12 Uhr und
sowieso erst Donnerstag. Als wir weiterfuhren machten sich vier
Insassen eines polnischen Fahrzeuges mit viel Kameraequipment auf den
Weg zum Seiteneingang. Ob sie es wagten?
Wir stellten uns auf eine längere
Fahrt ein, stellten die Sitze auf gemütlich und die Musik auf
Roadtrip. Perfekt. Bevor wir unser nächstes Ziel erreichten, legten
wir noch einen unplanmässigen Stopp ein. Wir entdeckten viele
abgestellte, alte Züge auf diversen Gleisen eines ausgedienten
Bahnhofes. Natürlich stiegen wir aus um uns die Stahlkolosse
anzusehen und ein paar Fotos zu schiessen. Die riesigen Fahrzeuge
erinnerten uns gleich wieder an den letzten Fahrzeugfriedhof, welchen
wir ja auch diese Woche in Estland besucht hatten.
Nun erreichten wir aber bald
unser eigentliches Ziel. Das Ungru Manor mag auf den ersten Blick wie
eine normale Ruine aussehen. Doch dahinter steckt einiges mehr an
Geschichte. Der Inhaber dieser tollen Parzelle machte sich 1890 auf
den Weg ins deutsche Halle, da er dort auf Schloss Merseberg
eingeladen wurde. Der Herr verliebte sich in die dort wohnhafte
Prinzessin und so besuchte er das Schloss noch zwei weitere Male um
beim dritten Besuch die Prinzessin zu bitten, ihn nach Hause zu
begleiten. Doch die Prinzessin wollte nicht mit dem Herrn mitreisen.
Der Grund war das tolle Schloss ihres Vaters, welches ihr so sehr
gefiel, dass sie es nicht verlassen wollte. Also begann der Verliebte
auf dieser Parzelle das Schloss Merseberg eins zu eins nachzubauen.
Leider wurde das riesige Bauwerk dann aber nie fertiggestellt, da die
Prinzessin drei Jahre später nach langer Krankheit verstarb. So
stand nach der traurigen Liebesgeschichte viele Jahre ein nicht
fertig gebautes Schloss hier. Dies änderte sich erst viele Jahre
später als die Sowjetunion an dieser Stelle ein Flugfeld für
Kampfhandlungen baute. Um die Betriebsgebäude zu errichten bediente
man sich an so vielen Materialien des Schlosses wie nur zu greifen
waren. Wir waren aber dann doch überrascht von der Grösse, welche
die Ruine auch heute noch hat. Man erkennt die vielen riesigen Bogen
und auch die oberen Fensterbereiche mit dem Etagendach lassen noch
gut die Parallelen zu Merseberg erkennen. Genau nahmen wir die Ruinen
unter die Lupe, kraxelten hier und dort durchs Gemäuer und schossen
Fotos. Ein älteres Ehepaar aus dem Kanton Bern parkte ihr Womo kurz
später auf dem Parkplatz und wir quatschten noch eine ganze Weile
ehe wir uns noch kurz zum mittlerweile ebenfalls verlassenen
Flughafen begaben. Dieser war dann aber nicht so interessant und wir
zogen weiter.
Lange dachten wir, dass die Fähre
von Helsinki nach Tallinn wohl die letzte auf unserer Route sein
wird. Doch dem war nicht so. Wir entschlossen uns hier in Estland
doch noch eine Fähre dranzuhängen und uns vom estnischen Festland
auf die Insel Saaremaa zu begeben. Wir erreichten den sehr modernen
Fährhafen gerade rechtzeitig und konnten nach dem Bezahlen der 14
Euro gleich auf das Schiff fahren. Nach knapp 30 Minuten erreichten
wir die Insel und fuhren von Board. Die Insel war viel weniger
besiedelt als das Festland und die unendlichen Weiten begeisterten
uns auch hier. Endlose Ebenen wechselten sich mit dichten Wäldern
ab. Nach 45 Minuten erreichten wir unser nächstes Ziel. Kaali hiess
das Dorf, welches als nächstes auf unserer Route lag. Kaali ist
bekannt für einen Krater, welcher gleich am Rande des Dorfes auf uns
wartete. Ein Meteorit von 20 – 80 Tonnen traf hier auf die Erde und
hinterliess einen Krater mit 110 Metern Durchmesser und 22 Metern
Tiefe. Nur vereinzelte Teile des Himmelskörpers wurden hier noch
entdeckt und man konnte feststellen, dass dieser praktisch zu 100
Prozent aus Eisen bestand. Nur kleine Nickel-Spuren verunreinigten
den Körper, welcher vor dem Eintritt in die Erdatmosphäre ungefähr
400 bis 10'000 Tonnen wog. Heute erinnerte wie gesagt nur noch der
riesige Krater an den Einschlag. Es war spannend am Krater
entlangzulaufen und auch in diesen hinab zu steigen. Obwohl schon
sehr sehr viele Jahre vergangen waren, war der Krater noch immer da
und die Geschichte irgendwie zum Greifen nahe.
Es war schon spät geworden und
der Hunger meldete sich schon langsam. Wir schauten also auf unsere
App und entdeckten schon bald einen schönen Platz direkt am Meer,
welcher einen ruhigen und gemütlichen Abend versprach. Kurz später
waren wir auch schon da. Nur etwa 50 Meter führte uns eine
Sandstrecke von der Hauptstrasse ans Ufer des Meeres. Dort erwartete
uns eine grosse, ebene, grüne Fläche direkt am Meer. Kein Mensch
weit und breit und nichts im Sichtfeld ausser der Wiese und dem Meer.
Ein Traum. Sofort wurden die Stühle aufgestellt und der Grill
eingeheizt. Mit den letzten Sonnenstrahlen gönnten wir uns ein
leckeres Nachtessen und betrachteten das ruhige Meer. Hier werden wir
sicherlich noch einen gemütlichen Abend verbringen und wohl auch
eine sehr ruhige Nacht.
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