Gestern
Abend gönnten wir uns noch einen kleinen Abendspaziergang. In den
nächsten zehn Tagen soll das Wetter nicht mehr so sommerlich sein,
was der frische Wind schon bei dieser kleinen Wanderung anzeigte. Ins
Bett legten wir uns kurz vor Mitternacht noch bei schönstem
Sonnenschein. Als ich um drei Uhr in der Früh das erste Mal
aufwachte, weil der Wind unser Bett schaukelte, war es jedoch schon
um das schöne Wetter geschehen. Auch als der Wecker uns um Acht aus
dem Bett klingelte beherrschte Grau das Landschaftsbild. Wir
frühstückten also und sahen uns unsere Tagestour an, deren erster
Teil ja vor allem aus Fahren bestand.
Denn
schon nach dem Frühstück verabschiedeten wir uns vom Womo-Nordkapp
und fuhren die 130 Kilometer zurück auf die 98, welche wir bei
Ifjord für den Abstecher nach Gamvik verlassen hatten. Alleine diese
Fahrt über die beiden Fjelle dauerte wieder über zwei Stunden,
wobei wir auch noch einen oder zwei Halte für Fotos einlegten. Es
war sehr spannend zu sehen, wie das Fjell heute bei Nebel ganz anders
wirkte als gestern bei strahlendem Sonnenschein. Während gestern ein
blauer Himmel, glasklare Seen und sattes Grün ein kleines Paradies
darstellten, warteten heute dunkle Töne und schwarzes, unruhiges,
böses Wasser in wilden Pfützen. Alles wirkte härter und ja –
nördlicher. So hatten wir uns eigentlich den ganzen Sommer im hohen
Norden vorgestellt, beschwerten uns jedoch auch niemals über die
Sonne und die warmen Temperaturen.
Wir
verfolgten auf der 98 wieder die Schilder, welche uns nach Kirkenes
in den östlichsten Teil Norwegens wiesen. Doch bis dahin sind es
wohl noch ein paar Tage. Jetzt erwartete uns dafür wieder ein
interessanter Streckenabschnitt. Eine Mischung zwischen Gebirgspass
und Fjell. Immer wieder entdeckten wir kleine Felder, in welchen die
Steine weinrot bis fast lila schimmerten, als wären sie angemalt
worden. Die Felder wurden immer grösser und als wir einen
Picknickplatz entdeckten, welcher praktisch nur aus diesen Steinen
bestand, mussten wir halten. Auf dem Infoschild fanden wir dann Infos
über die ganze Region, leider aber nicht über das Gestein. Speziell
ist, dass nur die oberste Schicht weinrot ist, bricht man den weichen
Stein, ist er innen grau mit einem knappen Millimeter Überzug –
auch so sieht er also aus wie angemalt. Vielleicht schleichen hier
nachts die Trolle herum und malen Steine an. Wer weiss.
Im
weiteren Verlauf entdeckten wir riesige Rentierherden. Drei Herden zu
locker 200 Tieren. Wir waren überrascht, so grosse Mengen der uns
ans Herz gewachsenen Tiere zu sehen. Scheint wohl ein Zuchtgebiet zu
sein, falls jemand wieder im Coal Miners Diner auf Spitzbergen einen
Burger bestellt. Immerhin leben die Tiere hier auch in der Zucht in
Freiheit und in gigantischen Gebieten. Der Gedanke an den Burger in
Spitzbergen machte hungrig und so hielten wir an der Kirche von Tana
um uns zu verpflegen.
Nachdem
wir die unheimlich spitze Kirche fotografiert hatten, rollten wir ein
paar hundert Meter weiter an eine Tankstelle. Der Tank war knapp
unter der Hälfte und den Fall unter einen Viertel sollte man hier im
Niemandsland von Nordnorwegen möglichst vermeiden. Leider
unterscheiden sich die Preise von Dorf zu Dorf gerne mal um 12 Rappen
pro Liter (!!!) und es kommt öfters vor, dass man tankt, weil man
eben muss und ein Dorf später kommt dann genau eine
Tiefpreistankstelle. Leider kann man das nie wissen, da nicht immer
die gleiche Kette die günstigste ist. Hier hatten wir wieder ein
bisschen eine teurere Tankstelle gefunden, dafür fiel mir gleich die
anschliessende Pneu-Werkstatt auf. Zwei Wagenheber und der
Druckluftschrauber lagen schon draussen. Das hatte ich seit Tagen
gesucht. Die Reifen vorne nutzen sich bei einem Fahrzeug mit
Frontantrieb eben schneller ab als die hinten. Die vorne waren noch
ganz okay und die hinten noch sehr gut. Für eine gleichmässigere
Abnutzung und somit eine weitere Reichweite wollte ich schon seit
geraumer Zeit die Räder wechseln, sprich die hinteren nach vorne und
umgekehrt. Ich lief also frohen Mutes in die Tankstelle und fragte ob
die Werkstatt zu ihnen gehöre, was der Herr bejahte. Als ich ihm
jedoch erzählte, dass ich etwas wollte, das mit Arbeit verknüpft
ist, war natürlich wieder schlechte Stimmung. Augen wurden verdreht,
Uhren angesehen, laut geschnauft. Die zwei Angestellten, welche ohne
Kundschaft in einer Tankstelle die Kasse bewachten, konnten sich aber
schlecht drücken und so erbarmte sich einer und wies uns relativ
schroff an, wie wir das Auto zu parken hätten. 15 Minuten später
waren die Räder gewechselt und 200 NOK (25 Franken) hatten den
Besitzer gewechselt. Der Preis war völlig okay, der Service typisch
Norwegen. Nichteinmal ein Auf Wiedersehen brachte man zur
Verabschiedung über die Lippen.
Noch
bevor wir die nächste Ortschaft, Tana Bru, erreichten, entdeckten
wir links von uns den Tanafluss. Dieser Fluss zeichnet sich durch die
Besonderheit aus, dass er riesige Bänke aus gelbem Sand anhäuft,
welchen er mitführt. Der Sand hat Strandqualität, optisch und
gefühlt wie im Sommerurlaub in Italien. Wirklich ein spannender Ort,
welcher jedoch aufgrund eines fehlenden Geocaches anderweitig
signiert werden musste.
In
Tana Bru kauften wir noch schnell ein paar Dinge im Rema ein, ehe wir
wieder auf die E6 trafen, welche wir irgendwo zwischen Nordkapp und
Lakselv verloren hatten. Diese verfolgten wir jedoch auch wieder nur
ein paar Kilometer, ehe wir zum nächsten Abstecher ansetzten. Dieser
war mit 180 Kilometern noch länger als derjenige nach Gamvik. Wir
wussten jedoch beim Abbiegen auf die E75 noch nicht, ob wir die
vollen 180 Kilometer bis nach Hamningberg fahren. Wie immer nahmen
wir alles spontan und besuchten Ort um Ort, fuhren einfach drauflos.
In
Nesseby fanden wir dann eine Kirche, welche wesentlich traditioneller
schien als noch diejenige von Tana. Wir schossen Fotos von der im
Nebel mystisch wirkenden Kirche und wunderten uns über die vielen
Leute. Doch ihre riesigen Objektive verrieten uns, dass sie wohl eher
nicht die Kirche fotografierten, sondern auf der Suche nach Vögeln
sind. Da wäre ich mit meinem 10 – 18mm Weitwinkelobjektiv
definitiv am falschen Ort und so machten wir uns auf die Weiterreise.
Diese
führte uns zum nächsten Halt – einem Vogelfelsen. Nun also doch
vögeln
Vögel fotografieren. Wir wanderten etwa 10 Minuten bis an die
Klippen am Meer. Das spannende: wir standen nun oben am Vogelfelsen
und sahen wie unter uns die vielen Möwen in die Felswand zu ihren
Nestern flogen. Wundervoll der Kontrast der schneeweissen Möwen zu
den dunkeln, nassen Felsen und dem satten Grün. Gerne würde ich
Fotos präsentieren – nur leider hatte ich noch immer vorhin
erwähntes Weitwinkelobjektiv an der Kamera. Damit liess sich die
Möwe auf die Grösse eines Stecknadelkopfes heranzoomen. Ein weisser
Fleck im Bild und nicht mehr. Doch auch die Natur hatte es sich hier
in sich. Lange sahen wir kein so schönes Grün mehr, welches sich
hier zwischen die Felsen legte.
Nun
ging es langsam dem Abend zu doch wir hatten noch einen letzten
Besuch vor. An einem Ort, welcher absolut unspektakulär erscheint,
jedoch geschichtlich ein wichtiger Punkt darstellt. Nach einem
kleinen Spaziergang erreichten wir einen roten Stahlturm, von welchem
die Farbe abblätterte und der schon lange ohne Zweck hier zu stehen
scheint. Und das stimmt auch. Der Mast wurde in den zwanziger Jahren
zuletzt genutzt und dies um Luftschiffe anzuketten. Ein
Zeppelinbahnhof also. Doch von hier legten nicht irgendwelche
Luftschiffe ab. Nein. Hier legte die „Norway“ ab, welche unter
der Führung von Umberto Nobile und Roald Amundsen zum ersten Mal den
Nordpol überflog. Nur zwei Jahre später startete auch die „Italia“
mit Umberto Nobile hier ihre Reise zum Nordpol. Leider wurde sie vom
Wind zerfetzt und die Besatzung strandete im ewigen Eis am Nordpol.
Bei der Befreiungsaktion konnten viele der Besatzung gerettet werden,
einige der Rettungstruppe, unter anderem ihr Anführer Roald
Amundsen, fanden in der Kälte jedoch den Tod. Ein wahrlich
geschichtsträchtiger Ort also, der von den meisten Vorbeifahrenden
wohl einfach als alter Strom- oder Radiomast abgetan wird.
Nach
diesem Besuch beschlossen wir, dass wir heute nur noch bis Vardo
fahren würden, was noch immer eine Stunde dauern würde. Die Fahrt
war neblig und teils von heftigen Regenfällen begleitet. Trotzdem
fiel mir plötzlich etwas auf, weswegen ich auf der Hauptstrasse
einen Stopp zog. Ich stellte das Wohnmobil seitlich an die Strasse,
halb auf dem Teer, halb im Wiesland. Macht ja nichts, zumal hier nur
alle 10 Minuten ein Auto lang fährt. Ich stieg aus und musste leider
einsehen, dass ich recht gesehen hatte. Zwei Schafe waren auf einer
kleinen Insel im Meer vom Wasser eingeschlossen worden. Die Flut
schien sie abgeschnitten zu haben und die Schafe blökten laut von
der kleinen Erhebung, welche gerade knapp Platz für die Beiden bot
und immer wieder von den Wellen überspült wurde. Können Schafe
schwimmen? Eigentlich kann das ja jedes Tier. Doch die Verzweiflung
war den Schafen anzusehen und es wären ja nur 5 Meter gewesen.
Während wir überlegten, ob und wie wir den Schafen helfen könnten,
ernteten wir von den Norwegischen Autofahrern nette Grüsse mit
Mittelfingern und lautem Fluchen. Ein so schönes Land – bewohnt
von so unfreundlichen Menschen. Wir konnten nicht mit gutem Gewissen
verschwinden, wussten aber auch nicht was tun. Plötzlich entschied
sich ein Schaf jedoch zum Sprung in das Wasser und erreichte gut das
Ufer. Das Zweite tat es ihm gleich und schon kurz später grasten die
Beiden auf der Wiese als wäre nie etwas gewesen. Wir fuhren beruhigt
weiter.
Nach
einem weiteren Unterwassertunnel erreichten wir dann die Insel Vardoy
mit der Orschaft Vardo, wo wir unseren Übernachtungsplatz zwischen
vielen anderen Womos am Meer einnahmen. Wind und Regen hindern uns am
Verlassen der warmen vier Wände und so gibt es nach dem Nachtessen
ein Videoabend mit den eigenen Videos, welche Melanie immer macht,
mit anschliessendem Lesen im kuscheligen Bett.
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