Dienstag, 21. August 2018

Brunnen, Autofriedhof und ein Ausflug ins Mittelalter

Heute klingelte der Wecker wieder wie immer, nur konnten wir uns heute auch schnell aufraffen. Nachdem Melanie das Fenster öffnete und wir den blauen Himmel entdeckten, war es ein Leichtes und nach dem Frühstück ging es auch gleich los. Und zu unserem ersten Halt mussten wir auch gar nicht lange reisen. Das Womo liessen wir sogar geparkt, denn das Gebäude unseres Interesses, stand gleich auf der anderen Strassenseite. Gestern Abend rätselte wir noch, worum es sich bei dem Bauwerk handelt und konnten dies dank Dr. Google auch herausfinden. Der Betonklotz wurde für die olympischen Sommerspiele 1980 gebaut, welche in der Sowjetunion stattfanden. Diese Arena hier stellte den Hauptbau der Spiele im westlichen Teil der Union dar und zerfällt seither. Wie praktisch alle olympischen Bauten. Für uns noch immer eine Idiotie, solche riesigen Bauten zu erstellen um sie verlottern zu lassen (sahen wir bereits in Barcelona) oder gleich nach den Spielen wieder abzureissen (so gesehen in London). Die Arena hier in Tallinn wird trotz ihrer tollen Lage nur noch von Graffitikünstlern und Touristen besucht, welche den Ausblick über die alte und die neue Skyline von Tallinn geniessen möchten. Wir erkundeten das Gebäude, genossen ebenfalls die tolle Aussicht und machten uns wieder auf den Rückweg zum Womo. 





Mit diesem wollten wir nun in den Süden fahren. Ein erster Halt legten wir an der Tankstelle ein um neues Frischwasser zu tanken und ein zweiter sollte an einem Supermarkt folgen. Doch die Fahrt durch die Stadt war gar nicht so einfach. Die Fahrweise der Einheimischen entspricht viel mehr der russischen Fahrweise als bei den Russen selbst. Hier wird gerast, überholt und gedrängelt. Alles klappt – aber es bleiben oft nur wenige Zentimeter Platz. Bis wir an einer roten Ampel standen. Quietschende Reifen, ein dumpfer Knall, Scherben und verbogenes Blech. Ein Kleintransporter fühlte sich so frei einem ziemlich noblen Audi eine neue Form zu verpassen. Alle nahmen es locker, stiegen aus, schossen Fotos. Bei Grün zogen wir weiter und waren froh, bald am Supermarkt angekommen zu sein. Die Preise hier in Estland liegen einiges unter den Preisen in Skandinavien und Finnland und ich freute mich so günstiges Bier zu entdecken und leistete mir gleich drei Halbliterdosen. An der Kasse nahm sie mir der Kassierer aber wieder ab und stellte sie weg. Hallo? Ich bin doch schon lange 18! Der Kassierer erwiderte, dass es in Estland verboten sei vor 10 Uhr morgens Alkohol zu kaufen oder verkaufen. Wie bitte? Ich will das ja nicht jetzt trinken. Auch Melanies Apple Cidre blieb am Kassierer hängen und so verliessen wir eben nur mit Wasser und Gemüse den Laden.

Das nächste Ziel wurde im Navi einprogrammiert und mit grossem Schrecken musste ich feststellen, dass der Weg wirklich ein Mal durch die Stadt führte. Ich weiss nicht wie, aber irgendwie schaffte ich es durch die Strassen auf die Autobahn am Stadtrand zu kommen ohne dass unser Womo irgend einen Schaden davontrug. Autofahren in Zürich wird in Zukunft wohl Entspannung pur sein. Auf der Autobahn lief jedoch alles gesittet ab. Einigermassen. Denn hier fährt alles auf der Autobahn – vom LKW über Autos, Traktoren bis zu Fahrrädern. Und ab und an gibt es sogar Fussgängerstreifen oder Fahrradwege, welche die Autobahn kreuzen. Wir rollten einfach bis zu unserem Ziel, dem Hexenbrunnen von Tuhala. Dabei handelte es sich um einen ganz normalen Brunnen. Aus einem 4 Meter tiefen Loch schöpften die Menschen vor hunderten von Jahren hier schon Wasser aus einem unterirdischen Fluss. Das Problem: immer wenn der Pegel des Flusses sehr hoch ist, überläuft der Brunnen und setzt die ganze Umgebung unter Wasser. Über 100 Liter pro Sekunde schiessen aus dem Loch, überschwemmen alles und sorgen natürlich für die Sensation schlechthin. Bei dem trockenen Sommer 2018 war der Brunnen heute natürlich ruhig und fast nichts deutete auf die verborgene Kraft hin. Nach drei Ausbrüchen im 2011 setzte der Brunnen jedoch nur je einmal im 2012, 2013 und 2016 das Umland unter Wasser. 




Nach einem kleinen Spaziergang in der Umgebung setzten wir uns wieder ins Womo und programmierten ein Ziel ins Navi, welches vor allem ich mir aussuchte. Eine knappe Stunde später erreichten wir in Järva-Jaari auch den angepeilten Friedhof. Feld der alten Technik nennt sich dieser übersetzt. Wir bezahlten am Eingang zwei Euro, indem wir die Münze in ein altes Polizeiauto einwarfen. Auf dem Feld der alten Technik fanden viele viele Fahrzeuge ihre letzte Ruhestätte und zerfallen in ihre Einzelteile. Und wir kamen um ihnen dabei zuzusehen. Gleich zu Beginn entdeckten wir die vielen Autos und obwohl ich mich mit Autos auskenne, erkannte ich kein einziges Model. Natürlich handelt es sich bei sämtlichen Fahrzeugen um Fabrikate aus dem Osten, der alten Sowjetunion. Dasselbe galt auch für die Reisebusse, welche als nächstes folgten und in welche man sich sogar noch setzen konnte. Auch ein Tram stand auf der Wiese und wir nahmen im Führerstand platz. „Nääächster Halt Helvetiaplatz!“. Nach einer riesigen Sammlung an gepanzerten und teils beraupten Militärfahrzeugen erreichten wir dann den für mich interessantesten Teil. Feuerwehrfahrzeuge. Ganz ganz viele Feuerwehrfahrzeuge. Von der Autodrehleiter über Tanklöschfahrzeuge bis zu riesigen Fahrzeugen der Flughafenfeuerwehr war alles hier. Hier mischten sich zum ersten Mal einige Volvo-Aufbauten unter die roten Rostlauben. Natürlich schoss ich unzählige Fotos ehe wir uns wieder zum Womo begaben und dort auch gleich unser Mittagessen zubereiteten. 






Gestärkt ging es wieder in nördliche Richtung. Der nächste Punkt wurde von Melanie ausgesucht und überraschenderweise handelte es sich dabei um eine Burg. Die Burg Rakverde erwartete uns nach kurzer Fahrt mit einem grossen Parkplatz und den üblichen Ruinen. Gar nichts liess von Aussen darauf schliessen, dass hier irgendwas anderes zu entdecken sein sollte als in jeder 0815-Burg in der Schweiz. Und dafür wollten die dann auch noch 9 Euro Eintritt pro Person. Natürlich dachten wir da zwei Mal darüber nach, doch die Bewertungen und unser Gefühl liessen uns den Preis bezahlen und eintreten. Sofort bemerkten wir, dass das hier keine normale Burg war. Überall stand mittelalterliches Zeugs herum und die Mitarbeiter waren alle in alte Fetzen gehüllt. 36 Punkte waren auf unserem Plan, welchen wir erhielten, eingezeichnet und wir arbeiteten uns von Punkt zu Punkt. Bei Punkt 5 betraten wir den „Barber-Shop“ also den Rasur-Laden. Dort sass eine mittelalterliche Dame am Empfang und nahm uns gleich in Beschlag. Sie erklärte uns den Job des Barbiers, der auch kleinere medizinische Eingriffe ausführte. Weiter führte sie uns in die Welt der Prostitution und der mittelalterlichen Geschlechtskrankheiten ein. Sie erklärte uns den Grund des Keuschheitsgürtels (Schutz vor Vergewaltigung, welche im Mittelalter oft vorkam) und dass Syphilis im Mittelalter etwas war, dass einem das Ansehen der Mitmenschen beschaffte. Nur Reiche konnten sich den Geschlechtsverkehr mit Prostituierten leisten und sich dort mit der Krankheit anstecken. Die Dame führte uns gut 10 Minuten durch die Räume, erklärte alles in bestem Englisch und liess uns danach noch für Fotos alleine. Wow. Wirklich sehr freundlich hier fast noch eine Führung zu erhalten. 






Wir erkundeten weiter die Schmiede, die Schreinerei, das Restaurant, die Stallungen und den Innenhof in welchem Gänse, Hühner, Schafe, Ziegen und ein Esel ihr Zuhause fanden und um Streicheleinheiten und/oder Essen bettelten. Als nächstes entdeckten wir viele dunkle Zwischengänge, kletterten auf die Burgmauer, stiessen zur Kirche vor und betrachteten Ballsaal, Speisesaal und Weinkeller. Als nächstes trafen wir auf einen Keller, welcher uns an ein Chemielabor erinnerte. Hier war ein Alchemist zuhause, welcher mit uns zusammen begann Schwarzpulver herzustellen. Aus Kohle, Salpeter und Schwefel mixte er das schwarze Pulver und erklärte uns viele interessante Dinge über die Verwendung, Herstellung und Lagerung. Auch das war wieder sehr interessant. Doch nun wollten wir uns an das Herzstück der Burg warten. Drei Räume, welche in allen Bewertungen hervorstechen und für welche die Burg auch bekannt ist. Die Folterkammer, die Kammer des Todes und die Hölle. Eine mittelalterliche Dame holte uns wieder am Eingang ab und führte uns in die Folterkammer. Nur mit wenigen Kerzen erleuchtet herrschte eine düstere Stimmung, während uns die Instrumente gezeigt wurden mit welchen die Menschen verhört, gefoltert und schlussendlich hingerichtet wurden. Auch in der Kammer des Todes herrschte gruslige Stimmung. Viele Puppen, ein aufgestellter Sarg sowie Licht- und Toneffekte sorgten für das richtige Ambiente ehe wir von der Dame, ohne ihre Begleitung, in die Hölle geschickt wurden. Nach ein paar Treppenstufen erwartete uns wirklich ein Trip durch die Hölle. Zahlreiche Licht- und Toneffekte, viele Puppen und anderes grusliges Zeug, Hindernisse am Boden und überall. Wie eine wirklich gut gemachte Geisterbahn. Wir fühlten uns wie an den Horror-Nights im Europapark ehe wir nach ein paar Minuten wieder ans Tageslicht traten. Wow! Was für ein Erlebnis. Das wollten wir bei einem kühlen Getränk in der Schenke sacken lassen und bestellten uns dort ein Bier und einen Cider – war ja jetzt nach 10 Uhr. Pünktlich um 16:00 Uhr machten wir uns dann auf den Weg in den Innenhof. Das selbst gemischte Schwarzpulver fand nun Verwendung, indem die schwedische Kanone im Innenhof abgefeuert wurde. Mit einem lauten Knall verpuffte das Pulver und natürlich sind wir wie alle anderen auch ganz schön erschrocken. 







Nun war alles gesehen und wir machten uns auf den Weg zum Womo. Wir waren uns einig: das war jetzt etwas richtig geiles! Ein Mittelaltermuseum zum Anfassen. Sehr freundliches Personal, welches immer freudig strahlt, wenn es einem etwas erklären darf. Man könnte hier auch noch auf Pferden reiten, Bogenschiessen, mit Lanzen üben und vieles anderes. Also für die 9 Euro kann man locker einen halben Tag unterhalten werden. Eine geniale Sache. Wir tratschten noch lange über die tolle Burg während wir zu unserem Übernachtungsplatz fuhren. Dort gab es schon bald Nachtessen und wir starteten in einen gemütlichen Abend. 

2 Kommentare:

  1. jetzt ha ich mir scho hoffnig gmacht dass de Barbier dir an Busch gange isch 😂
    Tja, demfall nöd 🤷‍♀️

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