Diese Nacht schaffte es seit
langem einmal wieder ein Automobilist, mich aufzuwecken. Es war
beinahe 02:30 Uhr, als ein Auto neben unser Womo fuhr. Obwohl der
Fahrer ausstieg, liess er den Motor und die laute Musik laufen, ging
auf das ToiToi-Klo und fuhr danach wieder weiter. Ich drehte mich um
und freute mich, dass noch so viele Stunden Schlaf vor mir lagen.
Kurz nach dem Erklingen des Weckers bemerkte ich wieder ein Auto,
welches sich neben uns stellte. Die Schiebetüre liess ebenfalls ein
Womo vermuten. Doch ein Blick aus dem Fenster brachte Klarheit. Es
war die Polizei. Die beiden Polizisten betrachteten unser Wohnmobil,
packten ihre Kaffeebecher und setzten sich auf eine Bank am See. Bei
uns startete der Tag heute mit Arbeit, noch ehe das Frühstück auf
dem Tisch stand. Der Blog wurde verfasst, Bilder bearbeitet und hier
und da noch was erledigt. Erst dann gönnten wir uns das Frühstück
und begrüssten auch Jasmin in den Tag.
Nachdem es gestern spät wurde,
hatten wir ein wenig länger geschlafen und natürlich quatschten wir
auch heute früh wieder lange. So war es schon nach 11 Uhr als wir
losfuhren, was jedoch schon viel früher war als ja noch gestern.
Unser erstes Ziel lag nur gerade ein paar Kilometer entfernt in
Jurkalne. Wir besuchten eine Reifenwerkstatt, um uns nach neuen
Reifen für Jakob zu erkunden. Leider waren keine Reifen in seiner
Grösse an Lager und so zogen wir weiter. Um die Ecke hatten wir bei
der Anfahrt eine Autowaschanlage entdeckt und so konnten wir endlich
unser Wohnmobil in einen einigermassen sauberen Zustand versetzen.
Wir putzten nicht stundenlang an unserem Zuhause herum aber trotzdem
hatte ich wohl noch nie für 3 Euro so lange Auto gewaschen. Sauber
ging es nun weiter und wir waren uns sicher, dass wir bald an der
nächsten Schotterpiste stehen werden.
Zum berühmten Strand in Jurkalne
führte dann zwar eine Sandpiste, was jedoch nicht annähernd so
schlimm war wie die Schotterpisten. Es war schon Mittag und wir
beschlossen uns in unserem Wohnmobil gleichzeitig den Regen vorbei
ziehen zu lassen und zu Mittag zu essen. Der Regen liess wirklich
nach als wir kurz später an die sandige Klippe des Strandes
spazierten. Der Weg endete an einem, aus Holz nachgebauten, Bug eines
Schiffes. Hoch über dem wundervollen Strand thronte dieses
Holzkonstrukt und bot sich als Titanic-Fotokulisse an – das Holz an
gewissen Stellen war schon abgenutzt. Wir betrachteten den Strand und
schossen einige Fotos. Noch immer waren wir überrascht mit welch
traumhaften Stränden Lettland aufwartet. Bei so schlechtem Wetter
hatten wir aber nicht so Lust hier am Strand lange zu verweilen und
machten uns auf die Weiterreise.
Als nächstes wartete auf uns ein
Wasserfall. Doch der Ventas Rumba ist nicht einfach ein Wasserfall.
Nein. Es handelt sich dabei um den breitesten Wasserfall Europas.
Doch auch hier dar man keinen Wasserfall im Stile des Rheinfalls oder
so erwarten. Der breiteste Wasserfall Europas ist nämlich gerade mal
1,5 Meter hoch. Wir parkten also schon bald im schönen Dörfchen
Kuldiga und spazierten durch die schönen Häuser und eine Parkanlage
an den Wasserfall. Obwohl dieser nicht hoch war, schaffte es der
Wasserfall und die gesamte Umgebung doch uns zu beeindrucken. Ein
wirklich schöner Ort. Dies bemerkten wohl auch zwei Menschen, welche
sich hier in der Gegend das Jawort gaben und gerade am Wasserfall mit
Fotos beschäftigt waren. Bald verzogen sich die jedoch wieder und
wir hatten den Wasserfall beinahe für uns alleine. Ein toller Ort,
welcher mit einer schönen Aussicht und spezieller Stimmung sehr zu
gefallen wusste.
Spezielle Stimmung erwarteten wir
nach einem kurzen Einkaufs-Halt auch an unserem nächsten Stopp.
Skrunda 1 heisst die Geisterstadt, welche mitten in Lettland am
zerfallen ist. Ehemals ein sowjetischer Armeestützpunkt ist es heute
ein Paradies für Leute, welche sich gerne LostPlaces ansehen. Doch
schon als wir den Ort im Google-Maps suchten, tauchten komische
Rezensionen auf. Einige davon behaupteten, Skrunda 1 werde
wiederbelebt und sei von der Armee abgeriegelt worden. Irgendwie
konnten, oder wollten, wir das nicht glauben und fuhren trotzdem hin.
An der Hauptstrasse war dann auch nur eine alte, geschlossene
Schranke und ein Fahrverbotsschild. Das war ja noch ganz üblich. Wir
parkten unsere Mobile und wanderten los. Schon nach kurzer Marschzeit
erblickten wir die ersten Häuser der Stadt, welche nach wie vor
ruhig und zerfallen vor uns lag. Bei näherem Hinsehen entdeckten wir
aber schon bald einen neuen Baucontainer sowie einige Gegenstände,
die wie ein moderner Fremdkörper in der Umgebung lagen. Wir
wanderten noch ein wenig weiter und schossen Fotos. Wir stoppten
erst, als ein Schild uns das Begehen des Geländes eindeutig verbot.
Von diesem Schild aus konnten wir auch ganz klar zwei Menschen
entdecken, welche im Baucontainer sassen. Uniformiert. Wir überlegten
lange, ob wir jetzt einfach umkehren sollten oder ob wir die Beiden
anquatschen möchten.
Wir entschieden uns für
Zweiteres und liessen die „Betreten verboten“-Schilder links
liegen. Wir waren schon fast am Container angekommen als natürlich
einer der beiden Uniformierten uns entdeckte und aus seinem Häuschen
auf uns zukam. Der Mann im Tarnanzug sprach perfektes Englisch und
erklärte uns sehr sehr freundlich, dass im Internet leider falsche
Informationen zu finden sei und dies nun eine militärische
Einrichtung sei. Natürlich baten wir nett darum, ein paar Fotos im
Innern der Anlage schiessen zu dürfen, was er jedoch freundlich
ablehnte. Dies erwarteten wir ja auch so. Was wir nicht erwarteten
war, dass uns der uniformierte Soldat erlaubte von dem Eingang aus
Fotos der Stadt zu schiessen. Hier im Osten ist das Fotografieren von
öffentlichen oder vor allem militärischer Bauten normalerweise
keine gute Idee. Darum waren wir echt überrascht, verabschiedeten
uns von dem Soldat und stellten uns vor den Eingang. Ich hob die
Fotokamera und drückte ein erstes Mal ab. Da knallte es plötzlich.
Der zweite Soldat sprang wie von der Tarantel gestochen hoch und
polterte wie wild von innen an seine Glasscheibe und schrie mehrmals
„NO FOTO!“. Der Typ rastete wirklich komplett aus und konnte erst
durch seinen freundlichen Kollegen beruhigt werden, der danach jedoch
wieder nach draussen kam und uns mitteilte, es wäre wohl doch nicht
erlaubt hier Fotos zu schiessen. So machten wir uns wieder vom
Gelände und lachten noch eine Weile über den zweiten Soldaten, der
einem Herzinfarkt nahe war.
Es regnete noch immer und wir
beschlossen, dass wir uns noch auf den Weg zurück an die Küste
begeben. So fuhren wir eine Stunde durch den Regen ehe wir, nach
einer Schotterpiste, einen wundervollen Strand erreichten. Ein
französisches Wohnmobil war gerade auch angekommen und die beiden
erzählten uns, dass auch sie den Platz aus der Park4Night App
hätten. Gerade als wir den Strand erreichten, riss die Wolkendecke
auf und die Sonne schien auf unsere Womos. Wir erkundeten freudig den
Strand, ehe uns der Hunger zurück zum Womo trieb. Wir assen draussen
und quatschten wieder über dies und das.
Nach dem Essen nahm ich mir
jedoch vor, mich um E-Banking und Blog zu kümmern. So riss ich mich
von den beiden Mädels los und setzte mich ins Womo. Ich kam noch
nicht einmal dazu den Laptop einzuschalten als ein weisser VW T5 mit
grünem Streifen auf den Platz fuhr. Schon wieder die Polizei, dachte
ich mir, ehe ich das deutsche Kennzeichen erblickte. Halt Stopp! Ein
VW T5 vom deutschen Zoll? Das kann doch nicht... das wird doch
nicht... Ich rannte aus dem Womo und zu dem T5 und doch... es war
Jonas. Jetzt muss sich sogar der aufmerksame Leser gut
zurückerinnern. Wir schrieben den 31. Juni als wir Jonas an einem
abgelegenen Leuchtturm inmitten Norwegens trafen. Er war einer der
dreien, mit denen wir damals am Lagerfeuer bis 2 Uhr in der Früh
Marshmallows grillten und Bier tranken. Genau 2 Monate war das nun
her. Und so wie wir uns damals mitten im Nirgendwo trafen, so trafen
wir uns auch heute wieder an einem Ort, welcher kaum einer je
besucht. Wir waren alle völlig baff, dass dieser Zufall nun wirklich
eingetroffen war. Natürlich waren alle Pendenzen schnell beiseite
geschoben und Jonas setzte sich mit seinem Stuhl zu uns. Wir hatten
uns viel zu erzählen, was zwischen unserer Begegnung alles so los
war, da er ja dieselbe Route fuhr wie wir. Es wurde wieder ein langer
Abend und als wir wieder weit nach Mitternacht im Bett lagen, mussten
wir noch immer lachen, dass wir wirklich Jonas wiedergetroffen
hatten.