So einfach fiel uns oder besser
gesagt mir das Einschlafen nicht. Zwei Mal rannte ich vom Zimmer
hinaus ins Wohnmobil. Zuerst bemerkte ich, dass es im Zimmer viel zu
hell war. Die LED-Scheinwerfer des Innenhofs schienen in grellem
Tageslicht-Weiss durch die viel zu dünnen Rolleaus. Lange vergangen
sind die Zeiten in Norwegen, wo diese Helligkeit normal war. Also
schnell raus ins Womo und die Schlafmaske geholt. Mit dieser war
perfekt dunkel. Doch nun konnte ich mich auf meine anderen Sinne
konzentrieren und hörte die Züge, die Wasserleitungen und andere
Hotelgäste. Also nochmals raus zum Womo und die Gehörschutzpfropfen
geholt. So war es dann doch schon 01:00 Uhr als ich im Bett meine
Augen und Ohren schloss und doch noch einigermassen gut schlafen
konnte.
Der Wecker ging heute früh. Sehr
früh. 07:30 zeigte die Uhr, denn wir hatten noch viel vor heute. Ich
musste noch den ereignisreichen gestrigen Tag in einen
Tagebucheintrag packen, ein paar Fotos zusammensuchen und meine
sieben Sachen packen. Auch Melanie und Jonas hatten noch Arbeit und
so war es schon kurz nach 09:30Uhr als wir uns zum Frühstück im
Womo trafen. Dieses fiel heute sehr kalt aus. Ohne zwei menschliche
Heizkörper kühlte sich das Wohnmobil in der sehr kalten Nacht
erheblich ab. Die 7 Grad, welche draussen herrschten, hatten sich
auch in den Innenraum übertragen. Nach dem Frühstück checkten wir
aus und klärten, dass wir unsere Womos noch ein wenig im Innenhof
stehen lassen konnten. Danach ging es auf in die Stadt.
Auf dem Weg zur Altstadt
ereignete sich eine Geschichte, wie sie nur in Russland oder der
Ukraine passieren kann. Jemand parkte doch wirklich sein Auto so doof
an die Strasse, dass das Tram keine Chance mehr hatte seine Fahrt
fortzusetzen. Da es nicht ausweichen konnte, versuchte es mit lautem
Bimmeln auf sich aufmerksam zu machen. Doch das interessierte
niemanden. Das Auto war ja leer und verlassen. So öffneten sich die
Türen des Trams. Kurzerhand entstiegen der Strassenbahn ungefähr 10
bis 15 Männer, verschafften sich Zutritt zum Auto (ohne dies zu
beschädigen), rissen das Lenkrad herum bis die Sperre einhakte und
schoben das Auto auf den Gehweg. Dort stellten sie es ab, schlossen
die Türen und stiegen wieder in das Tram, welches seine Fahrt
sogleich fortsetzte. Hätten wir es nicht mit eigenen Augen gesehen,
würden wir diese Geschichte wohl nicht glauben. Doch genau solche
Dinge tragen sich hier in der Ukraine eben schon einmal zu. Das
gehört eben zum Kulturschock dazu.
Punkt 10:30 Uhr war es, als wir
nach einigen Irrwegen am zentralen Brunnen standen und auf einen
netten Studenten trafen. Bohdan, so sein Name, war unser Guide,
welcher uns in den nächsten drei Stunden durch die Stadt führen
sollte. Die heutige Tour stand unter dem Zeichen der Kultur und wir
waren gespannt, was wir wohl auf diesem Wege über die Stadt erfahren
würden. Bei der Tour handelte es sich um eine sogenannte „Free
Tour“, welche mittlerweile in allen grösseren Städten angeboten
werden. Dies sind kostenlose Touren, welchen man ungezwungen und
kostenlos beiwohnen darf. Man kann dazustossen, abspringen. Alles wie
man möchte. Natürlich freut sich der Guide am Ende der Tour über
ein Trinkgeld womit der Guide selbst wohl mehr von der Sache hat als
wenn er sich irgendwo anstellen lassen würde. Zusammen mit zwei
Deutschen, zwei Polen, zwei Kanadiern und einer jungen Dame aus Chile
machten wir uns also auf die Tour durch die Stadt.
Was soll man dazu sagen? Die Tour
war genial. Mit viel Witz und Charme führte uns der Student der
Internationalen Beziehungen durch seine Stadt und erzählte uns viel
von der ukrainischen Kultur. Er erzählte uns warum die Ukrainer die
Österreicher fast noch mehr hassen als die Russen, wie der Trompeter
vom Rathausturm starb und wieso in Lviv das einzige natürlich
schwarze Gebäude Europas, neben dem Kölner Dom, steht. Wir erfuhren
viel über die Menschen, warum sie so sind und vor allem wie stolz
sie sind. Das erkannte man auch gut bei einem Besuch eines
Untergrund-Klubs namens Bunker. Gewusst wo klopfte unser Guide mitten
in der Stadt an eine Holztüre. Weit und breit kein Schild oder
dergleichen welches hier verriet, was hinter der Türe lauern möge.
Die Antwort: ein alter Ukrainer in Armeeuniform und mit einem
funktionstüchtigen Maschinengewehr in der Hand. Er verlangte von uns
ein Passwort, welches hier natürlich nicht verraten wird und einen
kleinen Nachweis, dass wir auch garantiert keine Russen seien. Im
Innern stiegen wir in den Untergrund hinab und stiessen auf ein
schönes Restaurant mit toller Bar. Überall lagen alte, aber echte,
Waffen herum und komische Geräte blinkten an der Wand. In einem
Seitenkeller befand sich dann sogar ein Boxsack mit dem Gesicht
Putins und wartete darauf malträtiert zu werden. Natürlich wischt
man sich auf dem Klo hier in diesem Club den Allerwertesten mit
Klopapier ab, auf dem Putins Abbild aufgedruckt ist. Verlassen wird
der Club durch eine geheime Schiebetür, welche hinter einem Regal
eines Souvenirladens versteckt war. Schnell verliessen wir den
Souvenirladen und standen wieder auf der Strasse. Wir konnten nicht
glauben, was wir da eben gesehen hatten.
Um das Ganze zu verdauen und
wegen der anhaltenden Kälte entschlossen wir uns spontan, die
Führung zugunsten einer halbstündigen Kaffeepause zu unterbrechen.
Dort lernten wir unsere Mitstreiter ein wenig besser kennen. Das
polnische Paar, welches nur auf einem kleinen Trip über die Grenze
war. Die beiden Deutschen aus Kiel, welche ebenfalls nur einen
Kurzurlaub hier verbrachten und die beiden Kanadier, welche am Anfang
einer sieben Monaten langen Reise mit dem Zug durch Osteuropa
standen. Interessant ebenfalls die junge Chilenin, welche seit zwei
Jahren nicht mehr Zuhause in Chile war, in der Türkei und Frankreich
studierte, per Anhalter über die Russische Grenze einreiste und nun
auf dem Weg nach Turkmenistan war. Mit den Gedanken noch immer ein
wenig beim Bunker führten wir die Tour weiter.
Doch der Bunker war noch lange
nicht alles, was diese Stadt und die ukrainische Kultur an
Kuriositäten zu bieten hatte. Nachdem wir die Genitalien von Statuen
in deren Hosentaschen gefühlt hatten, Obdachlose mit einem Faible
für Fashion betrachteten, einen einheimischen Kunstmarkt besuchten
und die Künstlermeile erkundigten, wollte sich Bohdan verabschieden.
Doch so richtig kam er nicht von uns los. Zusammen mit den Kanadiern
und der Chilenin begleitete er uns noch zum Mittagessen in ein Lokal,
welches er uns für einheimische Küche empfahl. Dort erwartete uns
eine wirklich leckere Küche zu moderaten Preisen. Alle sieben
Personen bezahlten zusammen für Hauptgericht und Getränke knappe 40
Franken. Bohdan musste schon bald dem Drängen der Freundin nachgeben
und uns verlassen. Wir warteten noch den kurzen Platzregen ab, ehe
wir uns ebenfalls verabschiedeten. Auf uns warteten nach dem letzten
Spaziergang durch die Stadt noch beinahe fünf Stunden Autofahrt und
wir wollten nicht zu spät an unserem Schlafplatz nahe dem
Grenzübertritt zu der Slowakei ankommen.
Wir kämpften uns wieder tapfer
durch den Verkehr und über die katastrophalen Strassen der Stadt.
Auch heute Nachmittag war es kein Leichtes sich mit einem Wohnmobil
durch dieses Chaos zu kämpfen, bei welchem auch heute galt: de
schneller isch de gschwinder. Im Gegensatz zur Anreise aus Polen,
welche über Autobahn führte, erwarteten uns nun über 200 Kilometer
Landstrasse. Doch es erwartete uns auch eine wunderschöne
Landschaft. Langsam begann es hügelig zu werden und endloses Grün
vermochte uns zu begeistern. Die Dörfer lagen alle in dichtem Qualm,
was daher führte, dass es noch immer keine 10 Grad Celsius hatte und
die Einwohner ihre Holzöfen in Betrieb nahmen. Die Strassen waren
gut (besser als in Polen) und der Verkehr ganz zivilisiert und
anständig. Die vier Stunden verliefen somit ohne Zwischenfälle und
mit nur zwei oder drei Zwischenhalten. Bei Einem fotografierten wir
noch eine der Kirchen, wie sie hier in jedem Dorf stehen.
Wunderschöne Gebäude sind dies jeweils. Wir durften erleben wie
sich der Tag langsam aus der wunderschönen Landschaft zurückzog und
immer mehr der Dunkelheit wich. Es war schon dunkel als wir den
Übernachtungsplatz erreichten. Dort waren wir überrascht. Was im
App nach einem Wanderparkplatz inmitten der Natur aussah, stellte
sich als Parkplatz am Rande eines Quartiers heraus. Die Strasse war
stark befahren und auch der Parkplatz zog allerhand Menschen an.
Irgendwie wollten wir hier nicht bleiben. So entschlossen wir uns
kurzfristig, doch noch in die Slowakei zu fahren. Wir wussten, dass
wir dort wieder Internet haben und somit besser einen Schlafplatz
finden würden. So machten wir uns auf den Weg zur Grenze, tankten
unser Womo nochmals für 96 Rappen den Liter mit Diesel voll und
standen schon bald vor der Grenze.
Und an dieses Bild mussten wir
uns nun gewöhnen. Wir standen vor der ukrainischen Grenze im Stau
und warteten auf den Übertritt. Das Schlimme daran: es ging keinen
Millimeter vorwärts. Etwa ein Auto pro Viertelstunde passierte die
Grenze. Und vor uns standen ganz viele Autos. Es begann wieder
bitterkalt zu werden und man sah den Menschen an, wie sie in ihren
Autos froren und sich mit laufenden Motoren versuchten warm zu
halten. Zwei Stunden später standen wir noch immer da. Die Motoren
der Leute hatten nach zwei Stunden im Stand nun auch keine Wärme
mehr und so liefen auch keine Motoren mehr. Erst nach knapp
zweieinhalb Stunden waren wir ganz vorne in der Reihe und durften
unsere Pässe zeigen und mit dem Laufblatt auf Stempelsuche. Doch
damit war es bei der Ausreise aus der Ukraine nicht getan. Ein
Zollbeamter durchsuchte gründlich unser Womo. Jeder Schrank, jede
Tür, jede Schublade – alles musste geöffnet werden und alles was
nicht auf den ersten Blick klar erkennbar war, musste ausgepackt
werden. Nachdem ich die Frage nach Zigaretten zum fünften Mal mit
„Nein“ beantwortet hatte, ebenso die Frage nach Pistolen, Drogen
und Messern, durften wir die Ukraine verlassen. Doch einen Grund zur
Freude gab es für uns noch nicht. Wir mussten noch in die Slowakei
einreisen. Die Schlage dort war ebenso lange und die Dauer der
Abfertigung leider ebenfalls. Wieder vergingen über zwei Stunden, in
welchen wir Tagebuch schrieben, Musik hörten und uns erfreuten, dass
wir im Gegensatz zu den Automobilisten am Tisch sitzen konnten, kurz
was essen konnten und natürlich vor allem an der Standheizung. Die
Slowaken tauchten dann gleich zu Zweit auf als wir am Schlagbaum
standen. Wieder wurde das ganze Wohnmobil von den Beiden durchsucht
und jede Ritze ausgeleuchtet. Zum Schluss schienen die beiden sich
jedoch mehr für das Womo zu interessieren, betrachteten das Holz,
die marmorierte Decke, die Teilledersitzüberzüge und stellten
Fragen nach dem Preis eines solchen Womos. Die Pässe erhielten wir
ebenfalls zurück und so konnten wir endlich endlich einreisen.
Sämtliche Beamten am Zoll waren sehr freundlich und zuvorkommend.
Doch wir waren nach über fünf Stunden am Zoll einfach nur durch.
Nach ukrainischer Zeit war es 04:00 Uhr als wir einen Wanderparkplatz
kurz nach der Grenze ansteuerten. Durch die Reise in die andere
Zeitzone war es zwar nur noch 03:00 Uhr doch das vermochte uns nicht
zu trösten. Als mein Kopf das Kissen berührte war ich dann auch
schon tief und fest eingeschlafen.
4 stund sind ja nöd lang... ihr hend ja Ferie 😜😄
AntwortenLöschenJo aber imfall voll nümm lang :(
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