Dienstag, 25. September 2018

Tag 2 in der Ukraine

So einfach fiel uns oder besser gesagt mir das Einschlafen nicht. Zwei Mal rannte ich vom Zimmer hinaus ins Wohnmobil. Zuerst bemerkte ich, dass es im Zimmer viel zu hell war. Die LED-Scheinwerfer des Innenhofs schienen in grellem Tageslicht-Weiss durch die viel zu dünnen Rolleaus. Lange vergangen sind die Zeiten in Norwegen, wo diese Helligkeit normal war. Also schnell raus ins Womo und die Schlafmaske geholt. Mit dieser war perfekt dunkel. Doch nun konnte ich mich auf meine anderen Sinne konzentrieren und hörte die Züge, die Wasserleitungen und andere Hotelgäste. Also nochmals raus zum Womo und die Gehörschutzpfropfen geholt. So war es dann doch schon 01:00 Uhr als ich im Bett meine Augen und Ohren schloss und doch noch einigermassen gut schlafen konnte.

Der Wecker ging heute früh. Sehr früh. 07:30 zeigte die Uhr, denn wir hatten noch viel vor heute. Ich musste noch den ereignisreichen gestrigen Tag in einen Tagebucheintrag packen, ein paar Fotos zusammensuchen und meine sieben Sachen packen. Auch Melanie und Jonas hatten noch Arbeit und so war es schon kurz nach 09:30Uhr als wir uns zum Frühstück im Womo trafen. Dieses fiel heute sehr kalt aus. Ohne zwei menschliche Heizkörper kühlte sich das Wohnmobil in der sehr kalten Nacht erheblich ab. Die 7 Grad, welche draussen herrschten, hatten sich auch in den Innenraum übertragen. Nach dem Frühstück checkten wir aus und klärten, dass wir unsere Womos noch ein wenig im Innenhof stehen lassen konnten. Danach ging es auf in die Stadt.

Auf dem Weg zur Altstadt ereignete sich eine Geschichte, wie sie nur in Russland oder der Ukraine passieren kann. Jemand parkte doch wirklich sein Auto so doof an die Strasse, dass das Tram keine Chance mehr hatte seine Fahrt fortzusetzen. Da es nicht ausweichen konnte, versuchte es mit lautem Bimmeln auf sich aufmerksam zu machen. Doch das interessierte niemanden. Das Auto war ja leer und verlassen. So öffneten sich die Türen des Trams. Kurzerhand entstiegen der Strassenbahn ungefähr 10 bis 15 Männer, verschafften sich Zutritt zum Auto (ohne dies zu beschädigen), rissen das Lenkrad herum bis die Sperre einhakte und schoben das Auto auf den Gehweg. Dort stellten sie es ab, schlossen die Türen und stiegen wieder in das Tram, welches seine Fahrt sogleich fortsetzte. Hätten wir es nicht mit eigenen Augen gesehen, würden wir diese Geschichte wohl nicht glauben. Doch genau solche Dinge tragen sich hier in der Ukraine eben schon einmal zu. Das gehört eben zum Kulturschock dazu.

Punkt 10:30 Uhr war es, als wir nach einigen Irrwegen am zentralen Brunnen standen und auf einen netten Studenten trafen. Bohdan, so sein Name, war unser Guide, welcher uns in den nächsten drei Stunden durch die Stadt führen sollte. Die heutige Tour stand unter dem Zeichen der Kultur und wir waren gespannt, was wir wohl auf diesem Wege über die Stadt erfahren würden. Bei der Tour handelte es sich um eine sogenannte „Free Tour“, welche mittlerweile in allen grösseren Städten angeboten werden. Dies sind kostenlose Touren, welchen man ungezwungen und kostenlos beiwohnen darf. Man kann dazustossen, abspringen. Alles wie man möchte. Natürlich freut sich der Guide am Ende der Tour über ein Trinkgeld womit der Guide selbst wohl mehr von der Sache hat als wenn er sich irgendwo anstellen lassen würde. Zusammen mit zwei Deutschen, zwei Polen, zwei Kanadiern und einer jungen Dame aus Chile machten wir uns also auf die Tour durch die Stadt.

Was soll man dazu sagen? Die Tour war genial. Mit viel Witz und Charme führte uns der Student der Internationalen Beziehungen durch seine Stadt und erzählte uns viel von der ukrainischen Kultur. Er erzählte uns warum die Ukrainer die Österreicher fast noch mehr hassen als die Russen, wie der Trompeter vom Rathausturm starb und wieso in Lviv das einzige natürlich schwarze Gebäude Europas, neben dem Kölner Dom, steht. Wir erfuhren viel über die Menschen, warum sie so sind und vor allem wie stolz sie sind. Das erkannte man auch gut bei einem Besuch eines Untergrund-Klubs namens Bunker. Gewusst wo klopfte unser Guide mitten in der Stadt an eine Holztüre. Weit und breit kein Schild oder dergleichen welches hier verriet, was hinter der Türe lauern möge. Die Antwort: ein alter Ukrainer in Armeeuniform und mit einem funktionstüchtigen Maschinengewehr in der Hand. Er verlangte von uns ein Passwort, welches hier natürlich nicht verraten wird und einen kleinen Nachweis, dass wir auch garantiert keine Russen seien. Im Innern stiegen wir in den Untergrund hinab und stiessen auf ein schönes Restaurant mit toller Bar. Überall lagen alte, aber echte, Waffen herum und komische Geräte blinkten an der Wand. In einem Seitenkeller befand sich dann sogar ein Boxsack mit dem Gesicht Putins und wartete darauf malträtiert zu werden. Natürlich wischt man sich auf dem Klo hier in diesem Club den Allerwertesten mit Klopapier ab, auf dem Putins Abbild aufgedruckt ist. Verlassen wird der Club durch eine geheime Schiebetür, welche hinter einem Regal eines Souvenirladens versteckt war. Schnell verliessen wir den Souvenirladen und standen wieder auf der Strasse. Wir konnten nicht glauben, was wir da eben gesehen hatten.

Um das Ganze zu verdauen und wegen der anhaltenden Kälte entschlossen wir uns spontan, die Führung zugunsten einer halbstündigen Kaffeepause zu unterbrechen. Dort lernten wir unsere Mitstreiter ein wenig besser kennen. Das polnische Paar, welches nur auf einem kleinen Trip über die Grenze war. Die beiden Deutschen aus Kiel, welche ebenfalls nur einen Kurzurlaub hier verbrachten und die beiden Kanadier, welche am Anfang einer sieben Monaten langen Reise mit dem Zug durch Osteuropa standen. Interessant ebenfalls die junge Chilenin, welche seit zwei Jahren nicht mehr Zuhause in Chile war, in der Türkei und Frankreich studierte, per Anhalter über die Russische Grenze einreiste und nun auf dem Weg nach Turkmenistan war. Mit den Gedanken noch immer ein wenig beim Bunker führten wir die Tour weiter.

Doch der Bunker war noch lange nicht alles, was diese Stadt und die ukrainische Kultur an Kuriositäten zu bieten hatte. Nachdem wir die Genitalien von Statuen in deren Hosentaschen gefühlt hatten, Obdachlose mit einem Faible für Fashion betrachteten, einen einheimischen Kunstmarkt besuchten und die Künstlermeile erkundigten, wollte sich Bohdan verabschieden. Doch so richtig kam er nicht von uns los. Zusammen mit den Kanadiern und der Chilenin begleitete er uns noch zum Mittagessen in ein Lokal, welches er uns für einheimische Küche empfahl. Dort erwartete uns eine wirklich leckere Küche zu moderaten Preisen. Alle sieben Personen bezahlten zusammen für Hauptgericht und Getränke knappe 40 Franken. Bohdan musste schon bald dem Drängen der Freundin nachgeben und uns verlassen. Wir warteten noch den kurzen Platzregen ab, ehe wir uns ebenfalls verabschiedeten. Auf uns warteten nach dem letzten Spaziergang durch die Stadt noch beinahe fünf Stunden Autofahrt und wir wollten nicht zu spät an unserem Schlafplatz nahe dem Grenzübertritt zu der Slowakei ankommen.










Wir kämpften uns wieder tapfer durch den Verkehr und über die katastrophalen Strassen der Stadt. Auch heute Nachmittag war es kein Leichtes sich mit einem Wohnmobil durch dieses Chaos zu kämpfen, bei welchem auch heute galt: de schneller isch de gschwinder. Im Gegensatz zur Anreise aus Polen, welche über Autobahn führte, erwarteten uns nun über 200 Kilometer Landstrasse. Doch es erwartete uns auch eine wunderschöne Landschaft. Langsam begann es hügelig zu werden und endloses Grün vermochte uns zu begeistern. Die Dörfer lagen alle in dichtem Qualm, was daher führte, dass es noch immer keine 10 Grad Celsius hatte und die Einwohner ihre Holzöfen in Betrieb nahmen. Die Strassen waren gut (besser als in Polen) und der Verkehr ganz zivilisiert und anständig. Die vier Stunden verliefen somit ohne Zwischenfälle und mit nur zwei oder drei Zwischenhalten. Bei Einem fotografierten wir noch eine der Kirchen, wie sie hier in jedem Dorf stehen. Wunderschöne Gebäude sind dies jeweils. Wir durften erleben wie sich der Tag langsam aus der wunderschönen Landschaft zurückzog und immer mehr der Dunkelheit wich. Es war schon dunkel als wir den Übernachtungsplatz erreichten. Dort waren wir überrascht. Was im App nach einem Wanderparkplatz inmitten der Natur aussah, stellte sich als Parkplatz am Rande eines Quartiers heraus. Die Strasse war stark befahren und auch der Parkplatz zog allerhand Menschen an. Irgendwie wollten wir hier nicht bleiben. So entschlossen wir uns kurzfristig, doch noch in die Slowakei zu fahren. Wir wussten, dass wir dort wieder Internet haben und somit besser einen Schlafplatz finden würden. So machten wir uns auf den Weg zur Grenze, tankten unser Womo nochmals für 96 Rappen den Liter mit Diesel voll und standen schon bald vor der Grenze.

Und an dieses Bild mussten wir uns nun gewöhnen. Wir standen vor der ukrainischen Grenze im Stau und warteten auf den Übertritt. Das Schlimme daran: es ging keinen Millimeter vorwärts. Etwa ein Auto pro Viertelstunde passierte die Grenze. Und vor uns standen ganz viele Autos. Es begann wieder bitterkalt zu werden und man sah den Menschen an, wie sie in ihren Autos froren und sich mit laufenden Motoren versuchten warm zu halten. Zwei Stunden später standen wir noch immer da. Die Motoren der Leute hatten nach zwei Stunden im Stand nun auch keine Wärme mehr und so liefen auch keine Motoren mehr. Erst nach knapp zweieinhalb Stunden waren wir ganz vorne in der Reihe und durften unsere Pässe zeigen und mit dem Laufblatt auf Stempelsuche. Doch damit war es bei der Ausreise aus der Ukraine nicht getan. Ein Zollbeamter durchsuchte gründlich unser Womo. Jeder Schrank, jede Tür, jede Schublade – alles musste geöffnet werden und alles was nicht auf den ersten Blick klar erkennbar war, musste ausgepackt werden. Nachdem ich die Frage nach Zigaretten zum fünften Mal mit „Nein“ beantwortet hatte, ebenso die Frage nach Pistolen, Drogen und Messern, durften wir die Ukraine verlassen. Doch einen Grund zur Freude gab es für uns noch nicht. Wir mussten noch in die Slowakei einreisen. Die Schlage dort war ebenso lange und die Dauer der Abfertigung leider ebenfalls. Wieder vergingen über zwei Stunden, in welchen wir Tagebuch schrieben, Musik hörten und uns erfreuten, dass wir im Gegensatz zu den Automobilisten am Tisch sitzen konnten, kurz was essen konnten und natürlich vor allem an der Standheizung. Die Slowaken tauchten dann gleich zu Zweit auf als wir am Schlagbaum standen. Wieder wurde das ganze Wohnmobil von den Beiden durchsucht und jede Ritze ausgeleuchtet. Zum Schluss schienen die beiden sich jedoch mehr für das Womo zu interessieren, betrachteten das Holz, die marmorierte Decke, die Teilledersitzüberzüge und stellten Fragen nach dem Preis eines solchen Womos. Die Pässe erhielten wir ebenfalls zurück und so konnten wir endlich endlich einreisen. Sämtliche Beamten am Zoll waren sehr freundlich und zuvorkommend. Doch wir waren nach über fünf Stunden am Zoll einfach nur durch. Nach ukrainischer Zeit war es 04:00 Uhr als wir einen Wanderparkplatz kurz nach der Grenze ansteuerten. Durch die Reise in die andere Zeitzone war es zwar nur noch 03:00 Uhr doch das vermochte uns nicht zu trösten. Als mein Kopf das Kissen berührte war ich dann auch schon tief und fest eingeschlafen.

2 Kommentare: