Vor dem Zubettgehen gestern
Abend, meinte ich noch zu Jonas, dass wir an diesem See sicherlich
eine ruhige und ungestörte Nacht verbringen werden. War der ganze
Abend doch niemand zu sehen. Das hätte ich wohl besser nicht gesagt.
Es war kurz nach 02:00 Uhr als mich ein komisches Geräusch am
Wohnmobil aus dem Schlaf holte. Ein Kratzen, ein Drücken, ein
Quetschen. Schnell weckte ich Melanie. Auch sie hörte das komische
Geräusch und wir wussten sofort: das ist Jemand an unserem
Wohnmobil. Schnell stand ich auf, schnappte eine Taschenlampe und
schaltete als erstes das Aussenlicht des Womos an. Schlagartig wurde
es ruhig. Ich lauschte noch einen Moment in die Nacht hinein, doch
war nichts mehr zu hören. Nur noch ein paar Enten, welche in der
Ferne schnatterten. Wahrscheinlich war es ein Tier, welches die
komischen Geräusche verursachte. Etwas anderes konnte ich mir nicht
vorstellen und legte mich wieder schlafen.
Wie geplant fand das Frühstück
heute ein bisschen früher statt. Ein Rundgang ums Womo brachte
keinerlei Einbruchspuren oder ähnliches zum Vorschein, womit ich bei
meiner Tiertheorie blieb. Wir packten unsere Rucksäcke, schmierten
Brötchen und machten uns auf die Fahrt, welche uns in 45 Minuten in
eine verlassene Gegend Polens brachte. Das geplante Ziel für heute
befand sich in genau dieser Gegend. Die im Volksmund Ostwall genannte
Verteidigungslinie Oder Warthe, stellt einen der grössten Lost
Places Europas dar. Die unterirdische Anlage erstreckt sich auf über
30 Kilometern und bietet unzählige Gänge und Panzerwerke. Auch
ganze Kasernen, Betriebsräume und natürlich Geocaches findet man 30
Meter unter der Erde in steter Dunkelheit. Die Zugänge zum Ostwall
wurden jedoch nach dem zweiten Weltkrieg gesprengt und später noch
zusätzlich verbarrikadiert. Doch wer einen Eingang sucht wird auch
schon bald einen finden. Das Abwassersystem. Durch den
Entwässerungsschacht steigen eigentlich allerlei Leute in die
dunkeln Gänge. Dieser bietet auf einer Länge von 250 Metern eine
Raumhöhe von 130cm und eine durchschnittliche Wasserhöhe von 50cm.
Also relativ unbequem. Darauf hatten wir jedoch keine Lust und so
suchte ich bereits gestern Abend einen anderen Einstieg im world wide
web. Natürlich fand ich keinen. Ansonsten würden sich die Leute den
Abwasserschacht ja nicht antun. Doch ich entdeckte eine Möglichkeit.
Und einen Versuch war es ja wert.
Wir parkten unsere Mobile also an
der Strasse in einem kleinen Dorf und bereiteten die letzten Dinge
für unsere Tour vor. Als alles gepackt war, wanderten wir über die
Felder ein paar hundert Meter zu einem kleinen Wald und entdeckten
dort wirklich einen Bunker. Ich sendete meiner Mutter eine Karte des
Systems per WhatsApp, erklärte ihr wo wir wären und wie unsere Tour
aussehen wird. Für uns das Wichtigste, da wir in der Tiefe kein Netz
haben werden und wenn niemand weiss wo man ist, wird man in diesem
riesigen System niemals gefunden.
Wir betraten den Bunker durch
seine Eingangstüre und das Abenteuer begann. Dieses endete aber
schon nach ca. 15 Metern an einer dicken Betonwand, welche in das
Panzerwerk eingezogen wurde. Hier war also Schluss. War mein Plan vom
trockenen Einstieg gescheitert? Ich hoffte nicht. Wir umkreisten den
Bunker, fanden einen zweiten Eingang, welcher jedoch ebenso im Nichts
endete. Kurz vor der Umkehr entdeckte ich noch einen kleinen Spalt,
durch welchen man sich vielleicht in das Untergeschoss des Bunkers
quetschen könnte. Ich beschloss es zu versuchen. Nach der Engstelle,
durch welche ich nur knapp hindurchpasste, fand ich mich in einem
winzigen Hohlraum wieder. Bodenfläche ca. 50 x 50cm und in der Höhe
auch nicht mehr. Eine weiter enge Stelle schien in einen grösseren
Raum zu führen und so quetschte ich mich erneut durch einen Spalt.
Nun konnte ich wieder stehen, war im Untergeschoss des Panzerwerkes
angelangt. Ich startete eine Erkundungstour und entdeckte schon bald
ein riesiges Loch indem eine Treppe 30 Meter in die Tiefe führte.
Wir hatten einen Eingang in das System gefunden. Schnell rief ich
Melanie und Jonas herbei, welche sich ebenfalls stöhnend durch die
Lücken drückten.
Wir stiegen also hinab in die
Tiefe. Wie immer zu Beginn einer solchen Tour löste die Dunkelheit
ein gewisses Gefühl der Enge aus, was wir uns jedoch gewohnt sind.
Auch Jonas war schon öfters in Höhlen und kannte dieses Gefühl. In
30 Metern Tiefe wurden wir dann auch schon von den fiependen
Bewohnern der Unterwelt empfangen. Teilweise hingen sie an grossen
Trauben von den Wänden, andere flatterten uns wild um die Köpfe.
Fledermäuse. Doch noch mehr freute uns das Vorhandensein von einigen
Watstiefeln am Fusse des Treppenhauses, denn auch im Korridor dieses
Panzerwerks stand das Wasser bis Mitte Unterschenkel. Wir hätten
extra für diesen Fall unsere viele Plastiktüten von Pull & Bear
und Panzertape dabei gehabt, doch mit den speziellen Schuhen ging es
wesentlich besser. Weit war die nasse Passage dann nicht und wir
liessen sie bald schon wieder stehen. Auch an die Fledermäuse
gewöhnten wir uns allmählich und zuckten nicht mehr jedes Mal
zusammen wenn eine in den Schein der Lampen flog.
Sieben Stunden später traten wir
wieder ans Tageslicht. Was wir in der Zwischenzeit erlebten ist nur
schwer zu beschreiben. Wir besichtigten zahlreiche Panzerwerke,
Bahnhöfe, Kasernen und wanderten Kilometer um Kilometer durch die
alten Tunnels, mit deren Hilfe eine Eisenbahn früher die Objekte
verbunden hatte. Namentlich erkundeten wir die Bahnhöfe Nordpol,
Cäsar, Bertha, Otto, Dora und Martha, sowie die Panzerwerke 727,
730, 733, 732, 736, 728, 724 und A8 Ost. Generell kann man sagen,
dass die unterirdischen Anlagen der Maginot-Linie, welche wir anfangs
der Reise besuchten und im Tagebuch davon berichteten, spannender
waren. Dies aus dem Grunde, dass dort einfach noch mehr Inventar in
den Bunkern vorhanden ist. Hier im Ostwall muss man sich mit leeren
Gängen und Panzerwerken begnügen. Das beeindruckendste waren hier
eindeutig die Dimensionen, welche sich bei einem Blick auf die Karte
erschliessen, nachdem man einen ganzen Tag im Untergrund verbrachte
und merkt, dass man nur einen kleinen Teil begangen hat. Am
spannendsten fanden wir das Panzerwerk 724, welches grösser und
verwinkelter gebaut wurde als die anderen Panzerwerke und deshalb zu
einer längerer Erkundung einlud. Ebenfalls gefiel uns die Kunst,
welche die Wände von A8 Ost verzierte. Wir dachten uns noch, dass
wir hier sicherlich einen Ausgang finden würden, was sich jedoch
nicht bestätigte. Die Künstler scheinen die Farbe und das Werkzeug
für diese Kunst wirklich durch das ganze System bis in diese
Sackgasse nach hinten. Erst kurz bevor wir die Anlage verliessen,
trafen wir zum ersten Mal auf andere Menschen. Die grössere Truppe
aus Polen war mit Leiter und allem Möglichem unterwegs, sodass wir
annahmen, dass es sich ebenfalls um Cacher handeln musste. Wir
konnten jedoch jeden Cache auch ohne Hilfsmittel loggen, auch wenn
die Meisten eine Terrainwertung von 5 besassen. Auch die
Schwierigkeit war hier immer hoch angegeben und so entdeckten wir
einige 4,5/5er, 5/4,5er oder gar 5/5er ehe wir durch unseren engen
Schlupf wieder ans Tageslicht traten.
Nachdem alle draussen waren,
meldeten wir uns bei meiner Mutter zurück, welche erleichtert
registrierte, dass wir wieder alle heil aus dem Ostwall heraus
gekrochen waren. Die Sonne knallte erbarmungslos vom Himmel und so
war die zweite Handlung, uns auszuziehen. Im Untergrund herrschte
auch hier eine konstante Temperatur von ca. 8 bis 10 Grad. Draussen
waren es heute 26. Ein regelrechter Temperaturschock also. Die Luft
schien so heiss wie noch nie diesen Sommer und es war beinahe als ob
die Wärme nicht natürlich sein könnte. Doch noch auf dem Weg zu
unseren Womos gewöhnten wir uns wieder an die Hitze und genossen es
heute doch noch ein wenig Tageslicht zu erhaschen.
Als nächstes wollten wir weiter
südwärts ziehen um morgen nicht mehr so viel fahren zu müssen. 3
Stunden war die ganze Strecke, welche wir beschlossen zu halbieren.
Leider befanden wir uns gerade in einem leeren Loch der
Park4Night-Karte. Nirgends ein Schlafplatz oder dergleichen zu sehen.
Also fuhren wir nach den 1,5 Stunden von der Autobahn ab und machten
uns selbst auf die Suche nach einem Platz für die Nacht. An einem
See hatten wir leider kein Glück und fuhren lediglich auf den
Vorplatz einer Festhütte diverser Jugendlicher. Einer davon sprach
Deutsch und gab uns noch einen Tipp, welcher aber nur über Umwege
erreichbar gewesen wäre. Wir fuhren noch ein Dorf weiter und ich
entdeckte dort einen Sportplatz. Meistens finden sich dort gute
Parkplätze. Doch leider war ich schon vorbeigefahren. Also wendete
ich ein wenig weiter bei einem Bauernhof am Ortsrand. Leider übersah
ich dabei eine grosse Schwelle und bleib mit dem Unterboden an dieser
hängen. Genaugenommen mit dem Abwassertank. Als wir davonfuhren,
sahen wir die grosse Wasserpfütze am Boden und wussten gleich: da
ist wohl was kaputt gegangen. Als wir kurz später vor dem Sportplatz
hielten, schien jedoch alles dicht zu sein. Ich rüttelte ein wenig
am Ablass und prompt rann das Abwasser ringsum aus kleinen Rissen
oder Löchern. 5 Minuter später standen wir auf einer kleinen Wiese
am Sportplatz und beschlossen dort auch die Nacht zu verbringen. Der
Abwassertank verlor wieder keinen Tropfen, wir werden das jedoch
trotzdem in nächster Zeit beobachten müssen.
Zusammen mit Jonas kochten wir
uns ein leckeres Nachtessen, ehe wir den Abend mit ein paar Bierchen
und dem Aussortieren der Videos der letzten Tage verbrachten. Jonas
und ich gönnten uns noch eine warme Dusche im Freien ehe es uns alle
ins Bett zog. Die vielen Kilometer unter Tage waren sehr anstrengend
gewesen und hatten uns mehr ermüdet als gedacht.
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