Dienstag, 18. September 2018

In den Tiefen des Ostwalls

Vor dem Zubettgehen gestern Abend, meinte ich noch zu Jonas, dass wir an diesem See sicherlich eine ruhige und ungestörte Nacht verbringen werden. War der ganze Abend doch niemand zu sehen. Das hätte ich wohl besser nicht gesagt. Es war kurz nach 02:00 Uhr als mich ein komisches Geräusch am Wohnmobil aus dem Schlaf holte. Ein Kratzen, ein Drücken, ein Quetschen. Schnell weckte ich Melanie. Auch sie hörte das komische Geräusch und wir wussten sofort: das ist Jemand an unserem Wohnmobil. Schnell stand ich auf, schnappte eine Taschenlampe und schaltete als erstes das Aussenlicht des Womos an. Schlagartig wurde es ruhig. Ich lauschte noch einen Moment in die Nacht hinein, doch war nichts mehr zu hören. Nur noch ein paar Enten, welche in der Ferne schnatterten. Wahrscheinlich war es ein Tier, welches die komischen Geräusche verursachte. Etwas anderes konnte ich mir nicht vorstellen und legte mich wieder schlafen.

Wie geplant fand das Frühstück heute ein bisschen früher statt. Ein Rundgang ums Womo brachte keinerlei Einbruchspuren oder ähnliches zum Vorschein, womit ich bei meiner Tiertheorie blieb. Wir packten unsere Rucksäcke, schmierten Brötchen und machten uns auf die Fahrt, welche uns in 45 Minuten in eine verlassene Gegend Polens brachte. Das geplante Ziel für heute befand sich in genau dieser Gegend. Die im Volksmund Ostwall genannte Verteidigungslinie Oder Warthe, stellt einen der grössten Lost Places Europas dar. Die unterirdische Anlage erstreckt sich auf über 30 Kilometern und bietet unzählige Gänge und Panzerwerke. Auch ganze Kasernen, Betriebsräume und natürlich Geocaches findet man 30 Meter unter der Erde in steter Dunkelheit. Die Zugänge zum Ostwall wurden jedoch nach dem zweiten Weltkrieg gesprengt und später noch zusätzlich verbarrikadiert. Doch wer einen Eingang sucht wird auch schon bald einen finden. Das Abwassersystem. Durch den Entwässerungsschacht steigen eigentlich allerlei Leute in die dunkeln Gänge. Dieser bietet auf einer Länge von 250 Metern eine Raumhöhe von 130cm und eine durchschnittliche Wasserhöhe von 50cm. Also relativ unbequem. Darauf hatten wir jedoch keine Lust und so suchte ich bereits gestern Abend einen anderen Einstieg im world wide web. Natürlich fand ich keinen. Ansonsten würden sich die Leute den Abwasserschacht ja nicht antun. Doch ich entdeckte eine Möglichkeit. Und einen Versuch war es ja wert.

Wir parkten unsere Mobile also an der Strasse in einem kleinen Dorf und bereiteten die letzten Dinge für unsere Tour vor. Als alles gepackt war, wanderten wir über die Felder ein paar hundert Meter zu einem kleinen Wald und entdeckten dort wirklich einen Bunker. Ich sendete meiner Mutter eine Karte des Systems per WhatsApp, erklärte ihr wo wir wären und wie unsere Tour aussehen wird. Für uns das Wichtigste, da wir in der Tiefe kein Netz haben werden und wenn niemand weiss wo man ist, wird man in diesem riesigen System niemals gefunden.

Wir betraten den Bunker durch seine Eingangstüre und das Abenteuer begann. Dieses endete aber schon nach ca. 15 Metern an einer dicken Betonwand, welche in das Panzerwerk eingezogen wurde. Hier war also Schluss. War mein Plan vom trockenen Einstieg gescheitert? Ich hoffte nicht. Wir umkreisten den Bunker, fanden einen zweiten Eingang, welcher jedoch ebenso im Nichts endete. Kurz vor der Umkehr entdeckte ich noch einen kleinen Spalt, durch welchen man sich vielleicht in das Untergeschoss des Bunkers quetschen könnte. Ich beschloss es zu versuchen. Nach der Engstelle, durch welche ich nur knapp hindurchpasste, fand ich mich in einem winzigen Hohlraum wieder. Bodenfläche ca. 50 x 50cm und in der Höhe auch nicht mehr. Eine weiter enge Stelle schien in einen grösseren Raum zu führen und so quetschte ich mich erneut durch einen Spalt. Nun konnte ich wieder stehen, war im Untergeschoss des Panzerwerkes angelangt. Ich startete eine Erkundungstour und entdeckte schon bald ein riesiges Loch indem eine Treppe 30 Meter in die Tiefe führte. Wir hatten einen Eingang in das System gefunden. Schnell rief ich Melanie und Jonas herbei, welche sich ebenfalls stöhnend durch die Lücken drückten.

Wir stiegen also hinab in die Tiefe. Wie immer zu Beginn einer solchen Tour löste die Dunkelheit ein gewisses Gefühl der Enge aus, was wir uns jedoch gewohnt sind. Auch Jonas war schon öfters in Höhlen und kannte dieses Gefühl. In 30 Metern Tiefe wurden wir dann auch schon von den fiependen Bewohnern der Unterwelt empfangen. Teilweise hingen sie an grossen Trauben von den Wänden, andere flatterten uns wild um die Köpfe. Fledermäuse. Doch noch mehr freute uns das Vorhandensein von einigen Watstiefeln am Fusse des Treppenhauses, denn auch im Korridor dieses Panzerwerks stand das Wasser bis Mitte Unterschenkel. Wir hätten extra für diesen Fall unsere viele Plastiktüten von Pull & Bear und Panzertape dabei gehabt, doch mit den speziellen Schuhen ging es wesentlich besser. Weit war die nasse Passage dann nicht und wir liessen sie bald schon wieder stehen. Auch an die Fledermäuse gewöhnten wir uns allmählich und zuckten nicht mehr jedes Mal zusammen wenn eine in den Schein der Lampen flog.




Sieben Stunden später traten wir wieder ans Tageslicht. Was wir in der Zwischenzeit erlebten ist nur schwer zu beschreiben. Wir besichtigten zahlreiche Panzerwerke, Bahnhöfe, Kasernen und wanderten Kilometer um Kilometer durch die alten Tunnels, mit deren Hilfe eine Eisenbahn früher die Objekte verbunden hatte. Namentlich erkundeten wir die Bahnhöfe Nordpol, Cäsar, Bertha, Otto, Dora und Martha, sowie die Panzerwerke 727, 730, 733, 732, 736, 728, 724 und A8 Ost. Generell kann man sagen, dass die unterirdischen Anlagen der Maginot-Linie, welche wir anfangs der Reise besuchten und im Tagebuch davon berichteten, spannender waren. Dies aus dem Grunde, dass dort einfach noch mehr Inventar in den Bunkern vorhanden ist. Hier im Ostwall muss man sich mit leeren Gängen und Panzerwerken begnügen. Das beeindruckendste waren hier eindeutig die Dimensionen, welche sich bei einem Blick auf die Karte erschliessen, nachdem man einen ganzen Tag im Untergrund verbrachte und merkt, dass man nur einen kleinen Teil begangen hat. Am spannendsten fanden wir das Panzerwerk 724, welches grösser und verwinkelter gebaut wurde als die anderen Panzerwerke und deshalb zu einer längerer Erkundung einlud. Ebenfalls gefiel uns die Kunst, welche die Wände von A8 Ost verzierte. Wir dachten uns noch, dass wir hier sicherlich einen Ausgang finden würden, was sich jedoch nicht bestätigte. Die Künstler scheinen die Farbe und das Werkzeug für diese Kunst wirklich durch das ganze System bis in diese Sackgasse nach hinten. Erst kurz bevor wir die Anlage verliessen, trafen wir zum ersten Mal auf andere Menschen. Die grössere Truppe aus Polen war mit Leiter und allem Möglichem unterwegs, sodass wir annahmen, dass es sich ebenfalls um Cacher handeln musste. Wir konnten jedoch jeden Cache auch ohne Hilfsmittel loggen, auch wenn die Meisten eine Terrainwertung von 5 besassen. Auch die Schwierigkeit war hier immer hoch angegeben und so entdeckten wir einige 4,5/5er, 5/4,5er oder gar 5/5er ehe wir durch unseren engen Schlupf wieder ans Tageslicht traten. 















Nachdem alle draussen waren, meldeten wir uns bei meiner Mutter zurück, welche erleichtert registrierte, dass wir wieder alle heil aus dem Ostwall heraus gekrochen waren. Die Sonne knallte erbarmungslos vom Himmel und so war die zweite Handlung, uns auszuziehen. Im Untergrund herrschte auch hier eine konstante Temperatur von ca. 8 bis 10 Grad. Draussen waren es heute 26. Ein regelrechter Temperaturschock also. Die Luft schien so heiss wie noch nie diesen Sommer und es war beinahe als ob die Wärme nicht natürlich sein könnte. Doch noch auf dem Weg zu unseren Womos gewöhnten wir uns wieder an die Hitze und genossen es heute doch noch ein wenig Tageslicht zu erhaschen.

Als nächstes wollten wir weiter südwärts ziehen um morgen nicht mehr so viel fahren zu müssen. 3 Stunden war die ganze Strecke, welche wir beschlossen zu halbieren. Leider befanden wir uns gerade in einem leeren Loch der Park4Night-Karte. Nirgends ein Schlafplatz oder dergleichen zu sehen. Also fuhren wir nach den 1,5 Stunden von der Autobahn ab und machten uns selbst auf die Suche nach einem Platz für die Nacht. An einem See hatten wir leider kein Glück und fuhren lediglich auf den Vorplatz einer Festhütte diverser Jugendlicher. Einer davon sprach Deutsch und gab uns noch einen Tipp, welcher aber nur über Umwege erreichbar gewesen wäre. Wir fuhren noch ein Dorf weiter und ich entdeckte dort einen Sportplatz. Meistens finden sich dort gute Parkplätze. Doch leider war ich schon vorbeigefahren. Also wendete ich ein wenig weiter bei einem Bauernhof am Ortsrand. Leider übersah ich dabei eine grosse Schwelle und bleib mit dem Unterboden an dieser hängen. Genaugenommen mit dem Abwassertank. Als wir davonfuhren, sahen wir die grosse Wasserpfütze am Boden und wussten gleich: da ist wohl was kaputt gegangen. Als wir kurz später vor dem Sportplatz hielten, schien jedoch alles dicht zu sein. Ich rüttelte ein wenig am Ablass und prompt rann das Abwasser ringsum aus kleinen Rissen oder Löchern. 5 Minuter später standen wir auf einer kleinen Wiese am Sportplatz und beschlossen dort auch die Nacht zu verbringen. Der Abwassertank verlor wieder keinen Tropfen, wir werden das jedoch trotzdem in nächster Zeit beobachten müssen.

Zusammen mit Jonas kochten wir uns ein leckeres Nachtessen, ehe wir den Abend mit ein paar Bierchen und dem Aussortieren der Videos der letzten Tage verbrachten. Jonas und ich gönnten uns noch eine warme Dusche im Freien ehe es uns alle ins Bett zog. Die vielen Kilometer unter Tage waren sehr anstrengend gewesen und hatten uns mehr ermüdet als gedacht.

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