Eine wundervolle Nacht
verbrachten wir beide in unseren jeweiligen Betten im Gjestehuset.
Der Helligkeit im Zimmer konnten wir zum Glück mit unseren
Schlafmasken entgegenwirken, der Hellhörigkeit mit den
Gehörstöpseln. Der Wecker klingelte uns pünktlich um 07:00 Uhr aus
dem Bett und draussen war es genau gleich hell wie schon um 01:50 Uhr
und 03:20 Uhr als ich kurz aufwachte. Nur ein kleines Detail war
anders, was mir jedoch erst auf den zweiten Blick auffiel.
Wir stürzten uns gleich um 07:30
Uhr auf das Frühstücksbuffet, welches für ein Motel wirklich sehr
gut bestückt war und uns allerlei zur Stärkung bot. Nach dem
Frühstück verschwanden wir gleich wieder im Zimmer um uns dort in
unsere wärmsten Kleider zu hüllen, ehe wir uns um 08:20 Uhr vor dem
Motel einfanden. Wir standen noch keine zwei Minuten vor der Tür als
wir schon Besuch erhielten. Jakub, unser Guide für den restlichen
Tag, begrüsste uns und wir bestiegen als Erste den Reisecar. Dieser
füllte sich bei jedem Hotel wieder ein bisschen mehr und fuhr uns
schlussendlich zum Hafen von Longyearbyen. Hier verliessen wir den
warmen Bus wieder und sollten auf ein Schiff umsteigen. Doch
haaaaalt! Was entdeckten wir denn da? Ein kleines rotes Schiff mit
Schweizerfahne? San Gottardo? Den 20Minuten-Lesern dürfte dieses
Schiff bekannt vorkommen, besitzt es und seine Crew doch seit ein
paar Tagen einen Live-Ticker über ihre Forschungsarbeit hier auf
Spitzbergen. Leider mussten wir wirklich an Board unseres, ebenfalls
roten, Schiffes und konnten so keinen Schwatz mit den Schweizern
führen.
Jakub begrüsste uns auf dem
Schiff nochmals, erzählte uns von sich, von der heutigen Reise und
natürlich von den Sicherheitsvorschriften an Board. Nach dieser
Einführung begaben wir beide uns dann auch gleich auf
Entdeckungstour durch unser Schiff, welches uns heute viele Stunden
beherbergen sollte. Wir schlichen durch die Korridore, besichtigten
sämtliche Decks und statteten auch dem Kapitän auf der Brücke
einen kleinen Besuch ab. Nach dieser Besichtigung wussten wir dann
auch, dass das vordere Deck unser Platz für das Bestaunen der
Landschaft werden würde. So liessen wir uns auch gleich dort nieder
und genossen die wundervolle Landschaft. Die Landschaft in
Spitzbergen lässt sich nur schwer beschreiben. In der Umgebung der
Stadt entdeckten wir vor allem Felslandschaften. Die Felsen sind
jedoch mit kleineren Felsstücken übersät, zwischen denen grünes
Moos und ganz selten auch ein wenig Gras schimmert. Eine spezielle
und unwirkliche Szenerie. Wendet man sich dann gegen Westen, so
erblickt man auf der anderen Seite des Fjords, das was man sich unter
Arktis vorstellt. Schnee und ewiges Eis. Nicht bloss einen oder zwei
Meter – nein über 40 Meter türmt sich das Eis hier auf und lässt
nur die grauen Bergspitzen hervorblitzen. Doch wir hielten sicheren
Abstand von diesen Eismassen und wendeten uns nordwärts.
Nach über einer Stunde
passierten wir ein Haus, in welchem viele Menschen im 1930 den Tod
fanden. Erst 2012 fand man abschliessend heraus, dass sie einer
Lebensmittelvergiftung zum Opfer fielen. Das Haus ist für jedermann
offen, kriegt jedoch komischerweise nur selten Besuch. Nochmals eine
Stunde später liefen wir in die Skansbukta ein. Die Bucht
unterscheidet sich in einer Kleinigkeit von den restlichen Buchten
hier in der Gegend. Die unterste Schicht der Felsen um sie herum,
bestehen aus Gips. Diesen Gips wollte man hier abbauen und eröffnete
darum 1924 die Gipsmine. Leider fand man heraus, dass im Inneren des
Berges das für Gips so wichtige Wasser fehlte und der brauchbare
Gips sich auf eine kleine Schicht am Äusseren beschränkt. Somit
wurde die Mine gleich wieder geschlossen. Jakub wusste wirklich über
alles Bescheid und konnte zu Allem eine Geschichte erzählen.
Drei Stunden dauerte unsere
Schifffahrt, ehe wir im nächsten Hafen einliefen. Obwohl Hafen
übertrieben scheint. Nur ein paar Holzdielen erinnern hier noch an
die goldenen Zeiten. Wir waren in Pyramiden angekommen. Pyramiden ist
eine russische Stadt, welche seit 1998 völlig verlassen ist. Eine
Geisterstadt. Eine russische Geisterstadt auf dem 78sten Breitengrad.
Spezieller geht es wohl kaum. Jakub installierte unsere Treppe zum
Festland und verliess uns dann aber. Er übergab uns an eine Führerin
– ebenfalls Russin. Sie denken jetzt wohl entweder an die
Kugelstosserin oder das Topmodel, aber die Wahrheit lag irgendwo in
der Mitte. Sie ist jedenfalls eine von 10 bis 20 Menschen, die sich
längere Zeit hier in Pyramiden aufhalten. Es sind dies alles Russen
oder Bürger ehemaliger USSR-Staaten. Für andere Bürger ist der
längere Aufenthalt hier nämlich verboten. Wir wurden begrüsst und
bestiegen auch gleich einen kleinen Reisebus, welcher von einem
Russen gesteuert wurde, die Pistole in Griffweite. Auch hier schienen
also Eisbären eine Gefahr darzustellen. Nur kurz dauerte die Fahrt,
ehe uns der Bus am Stadteingang aussetzte.
Von hier aus konnten wir gut die
Kohlemine am Berghang erblicken. Unüblicherweise befand sich hier
der Eingang oben am Berg und man grub sich in die Tiefe. Bei
Kohlenminen geschieht dies normalerweise andersrum. Die nette Dame
erzählte uns alles über die Entstehung der Minenstadt. Wie die
Russen nach Pyramiden und Barentsburg (südlich Longyearbyen) kamen
und nach Kohle gruben. Wie die Russen ihre Staatsmänner 1943 mitten
im Aufbau der Minen, angesichts der zweiten Weltkriegs evakuierte und
wie man die Minen ab 1954 wieder in Betrieb nahm. Der Aufwand war
hoch. Hier in Pyramiden sogar noch höher als im südlicheren
Barentsburg. Und als es1998 mit der USSR und den russischen Finanzen
langsam bergab ging, sah sich Russland gezwungen eine der beiden
Minenstädte aufzugeben. So mussten die Einwohner die Stadt innert
Monaten verlassen und so steht sie heute nun hier. Ein giganischer
Lost-Place.
Wir wurden auf eine zweistündige
Führung durch die Stadt mitgenommen. Entführt in eine andere Zeit
und in eine andere Welt. Architektur, Einrichtung und einfach alles
war ungewohnt. Russisch eben. Wir starteten am Flughafen,
besichtigten ein Bauerngut, lernten viel über die Versorgung der
Stadt, ehe wir am Kulturzentrum ankamen. Ein riesiges Gebäude, vor
welchem die nördlichste Lenin-Statue der Welt seinen Platz gefunden
hat. In diesem Kulturgebäude musste einst viel los gewesen sein. Um
sich die Zeit zu vertreiben waren die Einwohner hier nämlich sehr
aktiv in Kultur und Sport. Wir durften in das Gebäude eintreten und
besichtigten einen Konzertsaal für 300 Personen, welcher auch oft
als Kino genutzt wurde. Im gleichen Gebäude befand sich dann auch
die Turnhalle, wo auf hölzernem Boden vor allem Fussball und
Basketball gespielt wurde sowie ein Kraftraum. Auch hier machte sich
die russische Architektur an jeder Ecke bemerkbar. Uns wurde hier
nicht viel Zeit gelassen und wir spazierten schon bald durch die
Fussgängerzone in die Gegenrichtung. Der nächste Besuch galt der
Kantine. Auch hier durften wir das Innere inspizieren und wir waren
wiederum sehr überrascht ob der Einrichtung dieses Gebäudes.
Lost-Place-Fans kamen in der komplett eingerichteten Küche vollends
zum Zuge und wir schossen Fotos und Videos. Weiter ging es dann durch
das Dorf bis zum Hotel. Plötzlich kreuzte ein Tier unseren Weg. Ein
wilder Polarfuchs schien auch auf dem Weg ins Hotel zu sein, schien
etwas essbares zu wittern. Als er uns entdeckte, entschied er sich
jedoch anders und setzte seinen Weg in die andere Richtung fort.
Unser zweites wildes Tier heute, nach dem Rentier vor dem
Motelfenster.
Das Hotel Pyramiden erwartete uns
in mittlerweile gewohnt russischem Ambiente. Das Hotel ist das
einzige komplett erhaltene Gebäude, was daran liegt, dass hier die
wenigen Leute Unterschlupf finden. Hier kann man auch für ein paar
Nächte absteigen und später mit einem anderen Schiff zurückfahren.
Die Auswahl an Wodka in der Hausbar überzeugte uns jedoch nicht und
wir ruhten uns nur ein wenig aus, ehe unser Bus zurück zum Boot
fuhr. Wow! Was für eine Tour. Zwei Stunden durch eine russische
Geisterstadt am Ende der Welt. Ein wohl wirklich einmaliges Erlebnis.
An Board war nun endlich
Essenszeit. Es war schon 14:00 Uhr und der Magen knurrte. Im Preis
inbegriffen war ein Mittagessen und auf dieses waren wir nun
gespannt. Da wir gestern noch keine Chance zum Einkaufen hatten, gab
es für uns keinen Plan B. Diesen brauchte es aber auch überhaupt
nicht. Salat, Reis und Gulasch und dies sehr lecker. Wir erhielten
eine grosse Portion und durften sogar nochmals nachfassen. Wirklich
sehr fair. Doch diese Stärkung brauchten wir auch wirklich. Denn nun
ging es nicht etwa zurück nach Longyearbyen. Nein nein. Ein weiteres
Highlight erwartete uns nochmals ein kleines bisschen nördlicher.
Erst waren es nur ein paar
Eisschollen. Eis, welches im Meer trieb und ab und an, immer mehr,
gegen unseren Bug knallte. Auf einer Eisscholle hatte es sich sogar
ein Seehund gemütlich gemacht und liess sich fotografieren. Ein
zweiter tat es ihm kurz später gleich. Doch natürlich kommen die
Schollen nicht von ungefähr. Vor uns bäumte sich immer mehr eine
weiss-blaue Wand auf. Auch hier wieder über 40 Meter hoch. Der
Nordenskiöldbreen, welcher sich vor uns türmte, ist der grösste
Gletscher des Isfjords. Wir liessen uns ganz nahe an ihn herantreiben
und hörten das Knarren in seinem Inneren. Wie Holz, welches bricht.
Laut und unbändig. Plötzlich lösten sich am vorderen Teil des
Gletschers grosse Eisblöcke und fielen krachend ins Meer. Der
Gletscher ist auf dem Rückzug. Dieses Schauspiel wollten sich aber
auch andere Lebewesen nicht entgehen lassen. Immer wieder tauchten
die weissen Rücken der Belugas auf – Weisswale. Eine ganze Gruppe
davon konnten wir mit Feldstechern und teilweise von blossem Auge
erkennen. Auch eine Mutter mit ihrem, noch grauen, Jungen
präsentierte sich uns. Der Kamerazoom reichte ohne Teleobjektiv
jedoch nur für ein paar weisse Hügel. Und doch hatten wir auch noch
Weisswale entdeckt.
Der Halt beim Gletscher war eine
gute halbe Stunde und erfüllte einem mit Ehrfurcht. Wie klein man
sich vorkommt, wenn man einfach nur eine halbe Stunde vor einer
solchen Eismasse, vor einer solchen kraftvollen Natur steht. Wir
bahnten uns den Weg durch die eisige See zurück nach Süden. Die
Heimfahrt sollte beinahe vier Stunden dauern und wurde nur durch
einen kurzen Halt an einem Vogelfelsen unterbrochen. Ansonsten war
der Rückweg derselbe und so verbrachten nun die meisten Passagiere
ihre Zeit im Innern des Schiffes. Auch wir setzten uns, begannen
Fotos auszusortieren. Doch die letzte Stunde zog es uns wieder an
Deck und wir konnten die Anfahrt auf die Stadt Longyearbyen
geniessen. Die San Gottardo stand auch noch immer im Hafen und der
Bus wartete ebenfalls wieder, um uns zurück zum Gjestehuset zu
fahren. Wir verabschiedeten uns bei Jakub und bedankten uns für eine
11-Stündige traumhafte Tour. Wer einmal in Spitzbergen ist MUSS
diese Tour besuchen (und nicht die mit dem Speed-Boat, welche es in
der Hälfte der Zeit für weniger Geld schafft). Ein Tag Erlebnis
pur. Eine Expedition an vergessene Orte, zu wunderschönster Natur
und zu wilden Tieren in ihrer natürlichen Umgebung. Die Tour kann
man gar nicht genug loben und würdig beschreiben.
Ausklingen liessen wir den Tag
erneut im Coal Miners Diner gegenüber. Wir trafen zum dritten Mal
auf eine sehr nette Dame aus New York, mit welcher wir uns gestern im
Transferbus und heute auf dem Boot schon unterhielten. Wir setzten
uns zu ihr und lernten wieder einen interessanten Menschen kennen –
etwas was reisen eben auch ausmacht. Ich beendete den Tag wie er für
mich begann – mit Rentier. Zum Ende jedoch nicht vor dem Fenster
sondern als Burger auf dem Teller. Auch das eine leckere Sache.
(Sorry) HUERE GEIL 😄😄😄👍
AntwortenLöschenScho viel vo det ghört und gläse... und jetzt sind ihr echt det 😲👍
De hammer 😄
Jo das goht eus genauso. So viel ghört und jetzt simmer plötzlich do. Zudem no relativ unplanmässig und spontan. Hettemer eus au nie erträume loh. Aber ich rote jedem mol do ane ds goh. Es isch nid ganz günstig - aber denn lieber chlige spare und denn ab do ane. So oft wirsch nid so en spezielle und authentische Ort finde. Und wie überall frögt mer sich au do: wie lang bliibt das no so?
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