Dienstag, 24. Juli 2018

Unter Tage wie die Minenarbeiter von Spitzbergen

Der gestrige Tag machte müde. Sehr müde sogar. Kaum hatten unsere Köpfe das Kissen berührt, schwebten wir hinfort. Melanie sogar ohne die Schlafmaske und ich ohne die Gehörpfropfen. Während Melanie gegen 5 Uhr die Maske noch überzog, schlief ich bis 7 Uhr durch und hatte so noch einen kleinen Vorsprung auf den Wecker. Nachdem dieser erklang machten wir uns gemütlich auf den Weg zum Frühstück. Heute sollten wir erst um 09:00 Uhr abgeholt werden und so blieb uns mehr Zeit. Diese brauchten wir dann auch, da wir mit zwei Finnen an unserem Tisch ins Gespräch kamen. Das ist wirklich toll an so einem Motel – man kommt viel leichter mit Menschen in Kontakt als in einem Hotel. Nur drei Tische gibt es hier im Frühstücksraum und so lernt man sich kennen. Dies führte jedoch dazu, dass wir uns dann doch noch beeilen mussten, jedoch warm angezogen um 08:50 Uhr vor dem Motel bereitstanden.

Heute wurden wir von einem kleineren Gefährt abgeholt. Ein aussen schmutziger Kleintransporter mit 9 Sitzplätzen, wovon bei der Ankunft nur der Fahrersitz belegt war. Die Fahrerin stieg aus und begrüsste uns herzlich. Heute war es eine junge Norwegerin, welche sich als Hildy vorstellte und uns auf eine besondere Reise nahm. Auch die anderen Sitzplätze wurden noch gefüllt und somit waren wir alle acht Touristen, welche pro Tag den speziellen Ort am Rande der Stadt besuchen durften. Auch auf diesen Trip freuten wir uns, da es zu DEM Ort ging, welcher Spitzbergen belebt und wessen Geschichte sich durch all die Jahre zieht. Eine Kohlenmine. Genauer gesagt Mine 3.

Schon während der Autofahrt erzählte uns Hildy einiges über die Geschichte des Kohleabbaus in Spitzbergen. Nachdem die Geschichte mit Wal- und Walrossfang vorbei war, stellte die Kohle den einzigen Wirtschaftszweig der Insel dar. Obwohl es hier im Fels nur eine einzige Kohlenschicht gibt, gräbt man seit über 100 Jahren nach dieser. Der Grund: es gibt weltweit keine Kohle, welche so chemisch rein ist, wie die Kohle aus dieser Schicht in Spitzbergen. Doch erst ging es in der Geschichte ganz weit zurück. Woraus besteht denn Kohle eigentlich? Aus organischem Abfall. Also Pflanzen. Diese werden zu Erde und aus 14 Metern Erde wurde unter ungeheurem Druck über die Millionen von Jahren eine 40 bis 120 Zentimeter dicke Kohleschicht. Auf Spitzbergen gibt es aber gar keine Pflanzen. Doch vor ebendiesen Millionen von Jahren befand sich die Insel auch noch dort wo heute Frankreich liegt – hatte also durchaus eine aktive Flora.

Wann genau die Kohle hier entdeckt wurde kann man nicht genau sagen. Nur dass ein amerikanischer Kreuzfahrttourist 1906 Spitzbergen besuchte. Der Mann mit dem Namen John Munro Longyear (daher der Name der Stadt) roch das Geld und eröffnete die erste Mine, die Mine 1, auf der Insel. Diese lief sehr gut und schon bald wurde in einer zweiten Mine weitergearbeitet. Doch dann kam der zweite Weltkrieg und damit die Deutschen. Obwohl alle Mineure evakuiert wurden, besetzten die Deutschen das Gebiet um die Wetterstationen von Spitzbergen nutzen zu können. Bevor sie das Gebiet kurz später wieder verliessen, beschlossen sie jedoch die gesamte Stadt abzubrennen und auch die Mine 2 in Brand zu setzen. Beim Abbau von Kohle entsteht Methangas und so brannte die Mine 2 stolze 19 Jahre lange ehe das Feuer erlosch. Brauchbar war sie danach natürlich nicht mehr. Nachdem die Arbeit in Mine 1 wieder aufgenommen wurde, begann man mit dem Aufbau der Mine 2B. Neuer Besitzer der Minen war die Store Norske Spitsbergen Kulkompani, welche immer mehr Minen eröffnete und auch bis heute noch alle Minen besitzt. Gearbeitet wird jedoch heute nur noch in Mine 7.

Wir standen nun in Mine 3 und wurden nach der Geschichtslektion in blaue Overalls, sogenannte Lumpen gesteckt, man setzte uns einen Helm mit Lampe auf den Kopf und unsere Hände wurden in Handschuhe gesteckt. Wir checkten ein und betraten die Betriebsgebäude. Die spannende Entdeckungsreise begann. Die Mine 3 und die Gebäude sind noch immer in originalem Zustand. Denn die Mine wurde einfach von heute auf morgen geschlossen und die Arbeiter gingen einfach nach Hause. Dies war im Dezember 1996 und so hing sogar noch die Weihnachtsbeleuchtung im Büro. Am Bahnhof konnten wir uns in die Züge setzen, welche die Minenarbeiter damals tief in den Berg fuhren. Die Bahn ist extrem flach, da man nicht einmal überall im Stollen aufrecht sitzen konnte. Dort mussten sich die Mineure teils in den Wagen hinlegen um durch die 70 Zentimeter hohen Räume zu passen. In drei Schichten wurde gearbeitet. Die erste schlug die Kohle aus dem Berg. Dabei handelte es sich um eine Schicht, welche teils nur 40 Zentimeter hoch war. Das war auch der Platz, welcher den Mineuren mit ihren schweren Maschinen blieb. Mit Kohlestaub behangene Luft füllte die Kammern und machte das Arbeiten sicherlich nicht angenehm. Die zweite Schicht führte die Kohle aus dem Berg. Ebenfalls ein harter Job. Und die letzte Schicht kümmerte sich darum, die Stollen abzustützen um einen Einsturz zu verhindern. Ich rede hier in Vergangenheitsform – doch man bedenke, dass in Mine 7 auch heute noch so gearbeitet wird! Die dortigen Maschinen, welche die Schichten aus dem Berg kratzen, sind an die 2 Tonnen schwer und werden mit Seilen von Hand durch die dort etwa 70 bis 120 Zentimeter hohen Gänge gezerrt. In der Schweiz mit unseren Arbeitsgesetzen absolut undenkbar. In der Geschichte der Minen haben hier bis 2018 insgesamt 124 Menschen den Tod gefunden.

Nachdem wir die Verladestation besuchten, durften wir uns in einen nachgebildeten Stollen zur Arbeit begeben. Niemand wagte es eine Maschine oder ein Arbeitsgerät in diesen 25 Meter langen Nachbau mitzunehmen. Bei 70 Zentimeter Höhe war alleine das Fortbewegen schon mühsam genug. Ein richtiger Seitenstollen war jedoch gut und gerne einmal 250 Meter lang. Nach dem Stollen folgte bei uns die Werkstatt. Sämtliche Werkzeuge und Maschinen wurden hier selbst hergestellt, was auch viele Arbeitsplätze schaffte. Zum Schluss folgte dann noch der letzte Part, worauf wir uns alle natürlich am meisten freuten. 250 Meter durften wir durch den Hauptstollen bis zum ersten Seitenstollen wandern. Langsam zeigte sich die Kohleschicht, welche immer dicker wurde. Kaum war sie so hoch, dass ein Mensch durchpasste, begannen auch schon die Seitenstollen. Wir erfuhren auch hier viele interessante Dinge, testeten die absolute Dunkelheit, und durften selbst Kohle abbauen. Unter widrigsten Bedingungen schaffte ich es mit Bohrer und Dynamit in einem engen Seitenstollen ein paar Stücke Kohle aus dem Berg zu holen. Naja – vielleicht war es auch ein bisschen weniger spektakulär, doch wir durften alle Kohle aus dem Stollen mitnehmen. Die reinste Kohle der Welt. 










Die wirklich interessante Führung war damit beendet und wir konnten einen Einblick in eine unglaubliche Tätigkeit erhaschen, welche hier in Spitzbergen noch immer andauert. Mit Hildy hatten wir zudem eine geniale Führerin, welche mit viel Witz und Charme von der Mine und ihren Menschen erzählte. Sie hatte viele Anekdoten auf Lager, da sie immer wieder Leute in die Mine führt, welche früher hier arbeiteten und nun auf einen Besuch zurückkehren. Dabei auch eine Frau, die letzte Managerin der Mine 3, welche als Putzfrau in der Kantine der Mine 2B ihre Karriere bei der Gesellschaft startete. Auch Hildys jetziger Boss war einst ein Minenarbeiter. Der Inhaber unseres Gästehauses arbeitete damals ja auch in der Mine 3, und mittlerweile in der Mine 7. Alles hier in Longyearbyen hat mit diesen Minen zu tun, man sieht sie – und ihre Überresten – überall und so ist es ein MUSS, sich mit dieser Geschichte hier vor Ort auseinanderzusetzen.

Nach der Führung liessen wir uns von Hildy in der Stadtmitte absetzen. Die Stadt hatten wir bisher ja nur aus fahrenden Bussen gesehen und das wollten wir nun ändern. Auch wollten wir uns schnell etwas zu Essen aus dem Coop in der Stadt holen. Dieser ist hier verständlicherweise ein wenig teurer als auf dem norwegischen Festland oder Zuhause. Doch es hielt sich absolut im Rahmen. Wir konnten uns dafür gleich im Einkaufszentrum an den Tisch setzen und unsere Sandwiches verspeisen, ehe wir in die Kälte traten. Wir erkundeten das Lumpen-Zentrum (der Name kommt von den Overalls) und diverse andere Läden. Vor allem Sport- und Outdoorausrüster findet man hier. Aber auch alles des täglichen Bedarfs. Auch neue Handys werden hier angeboten – einigermassen preiswert. Ein Angebot von dem ich vielleicht Gebrauch machen werde, da bei meinem Handy leider der Bildschirm seinen Dienst quittiert hat.

Wir spazierten also langsam in Richtung des Meeres. So kamen wir unweigerlich zum Svalbard Museum. Die paar Kronen Eintritt gönnten wir uns und lernten in dem kleinen, aber gut gestalteten Kuppelbau viel über die Geschichte der Insel. Von der Entdeckung über Walfang, Walrossfang, Kohlengraben bis zum Tourismus und dem Global Seed Vault, dem Ort an dem die Samen von hunderttausenden Pflanzen aus der ganzen Welt lagern. Sicher verwahrt, im Permafrost konserviert, in Sicherheit. Plötzlich überschwemmten viele Leute das zuvor beinahe leere Museum. Zu aller Überraschung handelte es sich dabei ausschliesslich um Schweizer. Auf Nachfrage bestätigten diese, zu einer Reisegruppe aus der Schweiz zu gehören und wir quatschten noch eine längere Zeit mit einer weit gereisten Dame. Ein Stromausfall liess die Besucher dann ins Freie treten. Das der Strom hier ausfällt passiert immer wieder. Die Insel ist nicht an das Festland angeschlossen und produziert den Strom ausschliesslich selbst. Natürlich aus Kohle. Alleine dafür geht ein Viertel der jährlich geförderten Kohle drauf. Wir waren sowieso gerade durch und machten uns so auf den weiteren Weg.





Wir besichtigten die Stadt nun in Verbindung mit Geocaching. Dieses Hobby führte uns auch hier an versteckte Orte und ermutigte uns zu Fuss die tolle Stadt zu erkunden, im Gegensatz zu den Touristen welche immer wieder in Bussen, angeschrieben mit: „SIGHTSEEING BY BUS“, an uns vorbeizogen. Wir entdeckten somit die zentrale Station, bei welcher die oberirdischen Minenseilbahnen aus allen Minen zusammenkamen und per Förderband die Kohle in die Silos weitertransportiert wurde. Von hier aus spannen sich, die noch immer vorhandenen, Holzmasten in geraden Linien durch die Landschaften zu den Eingängen der Minen 1, 2B, 3 und 7. In Betrieb ist die fast komplett aus Holz gefertigte Seilbahn schon lange nicht mehr. Ebenfalls fanden wir die nördlichste Sonnenuhr der Welt. Wohl auch diejenige mit den wenigsten Arbeitsstunden. Auch im Sommer scheint hier die Sonne nicht oft. Wolken (wie heute) sind an der Tagesordnung und im Winter erscheint die Sonne für über vier Monate nicht einmal am Himmel. Erst als unser Akku erschöpft war, machten wir uns auf den Weg zurück zu unserer Unterkunft, welche sich 20 Minuten Fussmarsch ausserhalb, in Nybyen befindet. Dieses Dorf wurde im Übrigen gegründet, nachdem Longyarbyen (byen=dorf) von den Deutschen zerstört wurde. Deshalb Nybyen – neues Dorf.











Wir genossen es uns im Zimmer kurz hinzulegen und gemütlich den Blog zu beginnen und andere Dinge zu erledigen. Als der Hunger überhand nahm, wurde erneut das Coal Miners Diner besucht. Heute war nach dem Beef- und dem Rentierburger das Tenderloinsteak an der Reihe. Ein Traum. Selten habe ich so ein lecker zubereitetes Stück Fleisch gegessen. Auch heute wieder absolut lohnenswert, aber für uns das letzte Mal. Morgen geht es für einmal noch woanders hin. Den Rest des Abends verbringen wir nun im Motel und gehen früh schlafen. Morgen werden wir erneut um 09:00 abgeholt. Auch morgen stehen wieder zwei spannende Abenteuer auf dem Programm.


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