Der gestrige Tag machte müde.
Sehr müde sogar. Kaum hatten unsere Köpfe das Kissen berührt,
schwebten wir hinfort. Melanie sogar ohne die Schlafmaske und ich
ohne die Gehörpfropfen. Während Melanie gegen 5 Uhr die Maske noch
überzog, schlief ich bis 7 Uhr durch und hatte so noch einen kleinen
Vorsprung auf den Wecker. Nachdem dieser erklang machten wir uns
gemütlich auf den Weg zum Frühstück. Heute sollten wir erst um
09:00 Uhr abgeholt werden und so blieb uns mehr Zeit. Diese brauchten
wir dann auch, da wir mit zwei Finnen an unserem Tisch ins Gespräch
kamen. Das ist wirklich toll an so einem Motel – man kommt viel
leichter mit Menschen in Kontakt als in einem Hotel. Nur drei Tische
gibt es hier im Frühstücksraum und so lernt man sich kennen. Dies
führte jedoch dazu, dass wir uns dann doch noch beeilen mussten,
jedoch warm angezogen um 08:50 Uhr vor dem Motel bereitstanden.
Heute wurden wir von einem
kleineren Gefährt abgeholt. Ein aussen schmutziger Kleintransporter
mit 9 Sitzplätzen, wovon bei der Ankunft nur der Fahrersitz belegt
war. Die Fahrerin stieg aus und begrüsste uns herzlich. Heute war es
eine junge Norwegerin, welche sich als Hildy vorstellte und uns auf
eine besondere Reise nahm. Auch die anderen Sitzplätze wurden noch
gefüllt und somit waren wir alle acht Touristen, welche pro Tag den
speziellen Ort am Rande der Stadt besuchen durften. Auch auf diesen
Trip freuten wir uns, da es zu DEM Ort ging, welcher Spitzbergen
belebt und wessen Geschichte sich durch all die Jahre zieht. Eine
Kohlenmine. Genauer gesagt Mine 3.
Schon während der Autofahrt
erzählte uns Hildy einiges über die Geschichte des Kohleabbaus in
Spitzbergen. Nachdem die Geschichte mit Wal- und Walrossfang vorbei
war, stellte die Kohle den einzigen Wirtschaftszweig der Insel dar.
Obwohl es hier im Fels nur eine einzige Kohlenschicht gibt, gräbt
man seit über 100 Jahren nach dieser. Der Grund: es gibt weltweit
keine Kohle, welche so chemisch rein ist, wie die Kohle aus dieser
Schicht in Spitzbergen. Doch erst ging es in der Geschichte ganz weit
zurück. Woraus besteht denn Kohle eigentlich? Aus organischem
Abfall. Also Pflanzen. Diese werden zu Erde und aus 14 Metern Erde
wurde unter ungeheurem Druck über die Millionen von Jahren eine 40
bis 120 Zentimeter dicke Kohleschicht. Auf Spitzbergen gibt es aber
gar keine Pflanzen. Doch vor ebendiesen Millionen von Jahren befand
sich die Insel auch noch dort wo heute Frankreich liegt – hatte
also durchaus eine aktive Flora.
Wann
genau die Kohle hier entdeckt wurde kann man nicht genau sagen. Nur
dass ein amerikanischer Kreuzfahrttourist 1906 Spitzbergen besuchte.
Der Mann mit dem Namen John Munro Longyear (daher der Name der Stadt)
roch das Geld und eröffnete die erste Mine, die Mine 1, auf der
Insel. Diese lief sehr gut und schon bald wurde in einer zweiten Mine
weitergearbeitet. Doch dann kam der zweite Weltkrieg und damit die
Deutschen. Obwohl alle Mineure evakuiert wurden, besetzten die
Deutschen das Gebiet um die Wetterstationen von Spitzbergen nutzen zu
können. Bevor sie das Gebiet kurz später wieder verliessen,
beschlossen sie jedoch die gesamte Stadt abzubrennen und auch die
Mine 2 in Brand zu setzen. Beim Abbau von Kohle entsteht Methangas
und so brannte die Mine 2 stolze 19 Jahre lange ehe das Feuer
erlosch. Brauchbar war sie danach natürlich nicht mehr. Nachdem die
Arbeit in Mine 1 wieder aufgenommen wurde, begann man mit dem Aufbau
der Mine 2B. Neuer Besitzer der Minen war die Store Norske
Spitsbergen Kulkompani, welche immer mehr Minen eröffnete und auch
bis heute noch alle Minen besitzt. Gearbeitet wird jedoch heute nur
noch in Mine 7.
Wir
standen nun in Mine 3 und wurden nach der Geschichtslektion in blaue
Overalls, sogenannte Lumpen gesteckt, man setzte uns einen Helm mit
Lampe auf den Kopf und unsere Hände wurden in Handschuhe gesteckt.
Wir checkten ein und betraten die Betriebsgebäude. Die spannende
Entdeckungsreise begann. Die Mine 3 und die Gebäude sind noch immer
in originalem Zustand. Denn die Mine wurde einfach von heute auf
morgen geschlossen und die Arbeiter gingen einfach nach Hause. Dies
war im Dezember 1996 und so hing sogar noch die Weihnachtsbeleuchtung
im Büro. Am Bahnhof konnten wir uns in die Züge setzen, welche die
Minenarbeiter damals tief in den Berg fuhren. Die Bahn ist extrem
flach, da man nicht einmal überall im Stollen aufrecht sitzen
konnte. Dort mussten sich die Mineure teils in den Wagen hinlegen um
durch die 70 Zentimeter hohen Räume zu passen. In drei Schichten
wurde gearbeitet. Die erste schlug die Kohle aus dem Berg. Dabei
handelte es sich um eine Schicht, welche teils nur 40 Zentimeter hoch
war. Das war auch der Platz, welcher den Mineuren mit ihren schweren
Maschinen blieb. Mit Kohlestaub behangene Luft füllte die Kammern
und machte das Arbeiten sicherlich nicht angenehm. Die zweite Schicht
führte die Kohle aus dem Berg. Ebenfalls ein harter Job. Und die
letzte Schicht kümmerte sich darum, die Stollen abzustützen um
einen Einsturz zu verhindern. Ich rede hier in Vergangenheitsform –
doch man bedenke, dass in Mine 7 auch heute noch so gearbeitet wird!
Die dortigen Maschinen, welche die Schichten aus dem Berg kratzen,
sind an die 2 Tonnen schwer und werden mit Seilen von Hand durch die
dort etwa 70 bis 120 Zentimeter hohen Gänge gezerrt. In der Schweiz
mit unseren Arbeitsgesetzen absolut undenkbar. In der Geschichte der
Minen haben hier bis 2018 insgesamt 124 Menschen den Tod gefunden.
Nachdem
wir die Verladestation besuchten, durften wir uns in einen
nachgebildeten Stollen zur Arbeit begeben. Niemand wagte es eine
Maschine oder ein Arbeitsgerät in diesen 25 Meter langen Nachbau
mitzunehmen. Bei 70 Zentimeter Höhe war alleine das Fortbewegen
schon mühsam genug. Ein richtiger Seitenstollen war jedoch gut und
gerne einmal 250 Meter lang. Nach dem Stollen folgte bei uns die
Werkstatt. Sämtliche Werkzeuge und Maschinen wurden hier selbst
hergestellt, was auch viele Arbeitsplätze schaffte. Zum Schluss
folgte dann noch der letzte Part, worauf wir uns alle natürlich am
meisten freuten. 250 Meter durften wir durch den Hauptstollen bis zum
ersten Seitenstollen wandern. Langsam zeigte sich die Kohleschicht,
welche immer dicker wurde. Kaum war sie so hoch, dass ein Mensch
durchpasste, begannen auch schon die Seitenstollen. Wir erfuhren auch
hier viele interessante Dinge, testeten die absolute Dunkelheit, und
durften selbst Kohle abbauen. Unter widrigsten Bedingungen schaffte
ich es mit Bohrer und Dynamit in einem engen Seitenstollen ein paar
Stücke Kohle aus dem Berg zu holen. Naja – vielleicht war es auch
ein bisschen weniger spektakulär, doch wir durften alle Kohle aus
dem Stollen mitnehmen. Die reinste Kohle der Welt.
Die
wirklich interessante Führung war damit beendet und wir konnten
einen Einblick in eine unglaubliche Tätigkeit erhaschen, welche hier
in Spitzbergen noch immer andauert. Mit Hildy hatten wir zudem eine
geniale Führerin, welche mit viel Witz und Charme von der Mine und
ihren Menschen erzählte. Sie hatte viele Anekdoten auf Lager, da sie
immer wieder Leute in die Mine führt, welche früher hier arbeiteten
und nun auf einen Besuch zurückkehren. Dabei auch eine Frau, die
letzte Managerin der Mine 3, welche als Putzfrau in der Kantine der
Mine 2B ihre Karriere bei der Gesellschaft startete. Auch Hildys
jetziger Boss war einst ein Minenarbeiter. Der Inhaber unseres
Gästehauses arbeitete damals ja auch in der Mine 3, und mittlerweile
in der Mine 7. Alles hier in Longyearbyen hat mit diesen Minen zu
tun, man sieht sie – und ihre Überresten – überall und so ist
es ein MUSS, sich mit dieser Geschichte hier vor Ort
auseinanderzusetzen.
Nach
der Führung liessen wir uns von Hildy in der Stadtmitte absetzen.
Die Stadt hatten wir bisher ja nur aus fahrenden Bussen gesehen und
das wollten wir nun ändern. Auch wollten wir uns schnell etwas zu
Essen aus dem Coop in der Stadt holen. Dieser ist hier
verständlicherweise ein wenig teurer als auf dem norwegischen
Festland oder Zuhause. Doch es hielt sich absolut im Rahmen. Wir
konnten uns dafür gleich im Einkaufszentrum an den Tisch setzen und
unsere Sandwiches verspeisen, ehe wir in die Kälte traten. Wir
erkundeten das Lumpen-Zentrum (der Name kommt von den Overalls) und
diverse andere Läden. Vor allem Sport- und Outdoorausrüster findet
man hier. Aber auch alles des täglichen Bedarfs. Auch neue Handys
werden hier angeboten – einigermassen preiswert. Ein Angebot von
dem ich vielleicht Gebrauch machen werde, da bei meinem Handy leider
der Bildschirm seinen Dienst quittiert hat.
Wir
spazierten also langsam in Richtung des Meeres. So kamen wir
unweigerlich zum Svalbard Museum. Die paar Kronen Eintritt gönnten
wir uns und lernten in dem kleinen, aber gut gestalteten Kuppelbau
viel über die Geschichte der Insel. Von der Entdeckung über
Walfang, Walrossfang, Kohlengraben bis zum Tourismus und dem Global
Seed Vault, dem Ort an dem die Samen von hunderttausenden Pflanzen
aus der ganzen Welt lagern. Sicher verwahrt, im Permafrost
konserviert, in Sicherheit. Plötzlich überschwemmten viele Leute
das zuvor beinahe leere Museum. Zu aller Überraschung handelte es
sich dabei ausschliesslich um Schweizer. Auf Nachfrage bestätigten
diese, zu einer Reisegruppe aus der Schweiz zu gehören und wir
quatschten noch eine längere Zeit mit einer weit gereisten Dame. Ein
Stromausfall liess die Besucher dann ins Freie treten. Das der Strom
hier ausfällt passiert immer wieder. Die Insel ist nicht an das
Festland angeschlossen und produziert den Strom ausschliesslich
selbst. Natürlich aus Kohle. Alleine dafür geht ein Viertel der
jährlich geförderten Kohle drauf. Wir waren sowieso gerade durch
und machten uns so auf den weiteren Weg.
Wir
besichtigten die Stadt nun in Verbindung mit Geocaching. Dieses Hobby
führte uns auch hier an versteckte Orte und ermutigte uns zu Fuss
die tolle Stadt zu erkunden, im Gegensatz zu den Touristen welche
immer wieder in Bussen, angeschrieben mit: „SIGHTSEEING BY BUS“,
an uns vorbeizogen. Wir entdeckten somit die zentrale Station, bei
welcher die oberirdischen Minenseilbahnen aus allen Minen
zusammenkamen und per Förderband die Kohle in die Silos
weitertransportiert wurde. Von hier aus spannen sich, die noch immer
vorhandenen, Holzmasten in geraden Linien durch die Landschaften zu
den Eingängen der Minen 1, 2B, 3 und 7. In Betrieb ist die fast
komplett aus Holz gefertigte Seilbahn schon lange nicht mehr.
Ebenfalls fanden wir die nördlichste Sonnenuhr der Welt. Wohl auch
diejenige mit den wenigsten Arbeitsstunden. Auch im Sommer scheint
hier die Sonne nicht oft. Wolken (wie heute) sind an der Tagesordnung
und im Winter erscheint die Sonne für über vier Monate nicht einmal
am Himmel. Erst als unser Akku erschöpft war, machten wir uns auf
den Weg zurück zu unserer Unterkunft, welche sich 20 Minuten
Fussmarsch ausserhalb, in Nybyen befindet. Dieses Dorf wurde im
Übrigen gegründet, nachdem Longyarbyen (byen=dorf) von den
Deutschen zerstört wurde. Deshalb Nybyen – neues Dorf.
Wir
genossen es uns im Zimmer kurz hinzulegen und gemütlich den Blog zu
beginnen und andere Dinge zu erledigen. Als der Hunger überhand
nahm, wurde erneut das Coal Miners Diner besucht. Heute war nach dem
Beef- und dem Rentierburger das Tenderloinsteak an der Reihe. Ein
Traum. Selten habe ich so ein lecker zubereitetes Stück Fleisch
gegessen. Auch heute wieder absolut lohnenswert, aber für uns das
letzte Mal. Morgen geht es für einmal noch woanders hin. Den Rest
des Abends verbringen wir nun im Motel und gehen früh schlafen.
Morgen werden wir erneut um 09:00 abgeholt. Auch morgen stehen wieder
zwei spannende Abenteuer auf dem Programm.
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