Und ein Tag mehr an dem der Wecker
schon früh erklang. Ja ihr habt es bemerkt: momentan sind die
Wandertage dran. So auch heute. Und wer wandern will, der muss früh
raus. Vor allem wer so hoch hinaus will wie wir. Unser Ziel heute war
es so hoch hinaus zu gehen, dass es kein „höher“ mehr gibt in
Norwegen. Der höchste Berg Norwegens. Galdhoppigen sein Name, 2469
Meter über Meer die Höhe seines Gipfels. Ja zugegeben: für uns
Schweizer keine Höhe bei der wir an hohe Gipfel denken. Das geht
schon beinahe unter Hügel. Man bedenke jedoch, dass die Talsohlen
sich hier in Norwegen nur knapp über Meereshöhe befinden. Und auch
sonst ist hier alles anders. Während bei uns die Baumgrenze bei 1600
Metern über Meer liegt, findet man hier schon ab 900 Metern
höchstens noch ein paar Krüppelkiefern (ich bin nicht gemein zu
denen – die heissen wirklich so).
So machten wir uns also auf den Weg zu
diesem Abenteuer. Unsere Nachbarn dösten noch gemütlich im Womo,
als wir bereits die Passstrasse hinunter bretterten. Doch kaum im Tal
angekommen, bogen wir zum Sommerskizentrum Juvass und stiegen wieder
in die Höhe. Viele Höhenmeter konnten wir so im Womo zurücklegen.
Wirklich gemütlich. 10 Kilometer vor dem Startpunkt stoppte uns
wieder eine Schrankenanlage, welche wir für 100 NOK (12 Franken)
passieren durften. Wieder gut angelegtes Geld, kann man sich so
erneut viele Höhenmeter und Kilometer ersparen.
Nach einer wirklich abenteuerlichen
Fahrt erreichten wir die Juvasshytta – den Startpunkt der kurzen
Route auf den Galdhoppigen. Der Wind blies hier unglaublich stark und
wir hatten schon Angst um unser Wohnmobil. Während wir auf dem
Parkplatz so im Wind wankten und die dunkeln Wolken um den Berg wehen
sahen, kamen erste Zweifel. Wir konsultierten unseren Reiseführer.
Dieser beschrieb die lange Route von einem anderen Startpunkt aus.
Die Route von der Juvasshytta kennen die beiden Autoren auch nur vom
Hörensagen. Doch sie sei leicht und die Gletscherüberquerung auf
dem Weg völlig ungefährlich. Doch:
- Hat mir meine Mutter beigebracht, dass man vom Hörensagen das Lügen lernt
- Haben wir noch nie eine Gletscherüberquerung gemacht
- War das Wetter alles andere als optimal
- Kennen wir uns mit dem Wetterverhalten in Norwegen nicht aus
Diese vier Punkte liessen uns mehr als
nur zweifeln. Bei dem Wind in die dunkeln Wolken zu steigen: zu
riskant und wir möchten ja heil wieder nach Hause kommen. Wir
entschlossen uns zur einzigen Variante, welche uns noch blieb. Wir
erkundeten uns in der Juvasshytta nach einer Tour mit einem
erfahrenen Bergführer. Und man bestätigte uns, dass heute um 10 Uhr
so eine starten würde. Es war zu dem Zeitpunkt 09:40 und wir hatten
noch nichts gepackt. Doch wir bezahlten die 250 NOK (28 Franken) pro
Person und beeilten uns. Ich bemerkte beim hastigen Packen noch das
Fehlen meiner Handschuhe (liebe Grüsse an sie nach Frauenfeld) und
musste mir noch schnell neue in der Hütte kaufen. Dann aber nichts
wie an den Treffpunkt.
Ein Team aus vielen Bergführern hiess
uns pünktlich Willkommen und die englisch instruierte Gruppe war
auch nur gerade sechs Personen stark. So konnten wir die nette Dame
mit Fragen löchern. Diese betrafen vor allem das harte Wetter. Und
siehe da: dieses Wetter sei hier normal. Der Wind sei ein wenig stark
doch alles andere sei wie immer. An 300 Tagen des Jahres kann man vom
höchsten Berg Norwegens nicht in die Ferne blicken. Ein
Aussichtsberg erwartet einem hier wohl also nicht. Sympathisch war
uns auch, dass wir Klettergurte erhielten, man unsere Ausrüstung
(Schuhe, Jacke, Hose, Mütze, Handschuhe) auf Tauglichkeit prüfte
und unsere Fragen sehr professionell beantwortete. Wir fühlten uns
also rundum sicher als wir auf die ersten Kilometer bis zum Gletscher
starteten.
Ja das Wandertempo der Gruppe entsprach
in diesem ersten Teil nicht gerade unserem. Trotz Wind hätten wir
diesen Teil wohl ohne die Gruppe wesentlich schneller zurückgelegt.
Doch das war nicht so ein Problem. Denn als wir am Rande des
Gletschers standen, wussten wir sofort: hier hätten wir ohne die
Führung umgedreht. In erster Linie wegen dem Wetter. Wir froren,
während die Führer die Seile bereitlegten und alles dauerte
gefühlte Ewigkeiten. Doch nicht nur deswegen: auch die Dimensionen
und die Rauheit des Gletschers hätten wir nicht zu bezwingen gewagt.
Der Reiseführer suggerierte uns hier, dass einem natürlich zu einer
geführten Tour geraten werde. Jedoch unnötiger Weise. Wie sie zu
dieser Einschätzung kommen können ist mir schleierhaft. Der Weg
über den Gletscher dauert über eine Stunde. Der Weg ist immer gut
sichtbar. Doch auch direkt am Weg tun sich teilweise tiefe
Gletscherspalten auf, welche man ohne Bergführer beinahe nicht von
tiefen Fussstapfen unterscheiden kann. Auch bei Sonnenschein ist das
hier für Wanderer ohne Erfahrung ein wahres Minenfeld.
Zum Glück durften wir dieses als
Seilschaft mit unserer kompetenten Führung überqueren. Doch die
Stunde war eine Qual. Die unbändige Natur Norwegens zeigte sich mit
voller Kraft. Der Wind trieb einem immer wieder aus der Spur und
wirbelte der Gruppe kleine Graupelkörner ins Gesicht. Wie tausend
Nadelstiche fühlten sich diese mit jeder Böe an. Die Graupel
begannen auch unsere Hosen und die darunterliegende Thermowäsche zu
durchnässen. Ebenfalls die Schuhe und Handschuhe. Nur die Jacke
hielt noch dicht. Doch man darf auch im Nachhinein sagen, dass dieser
Teil eine absolute Qual und Grenzerfahrung war. Nach der Überquerung
des Gletschers waren dann auch viele Teilnehmer der Expedition total
am Ende. Es ging fast nicht mehr vorwärts, sodass wir uns am ersten
steinigen Grat zu einer Pause gezwungen fühlten. Wir begannen wieder
zu frieren, ehe sich über zwei Drittel der Teilnehmer zur Umkehr
entschieden. Sicherlich eine weise Entscheidung, wenn man so am Ende
war.
Doch wir waren konditionell noch fit.
Von diesem Standpunkt aus war es bisher eine Sonntagswanderung. Nur
das raue Wetter setzte uns zu. Die letzten 40 Minuten bis zum Gipfel
waren dann reines Durchbeissen. Wir erklommen diverse Geröllfelder,
überquerten Schneefelder, stapften steile schneebedeckte und eisige
Hänge steil nach oben. Die Sicht betrug knappe 50 Meter. So waren
wir überrascht, als wir plötzlich vor einer grossen Hütte standen.
Der Gipfel war erreicht. Endlich!!! Nach knapp 4 Stunden standen wir
wirklich auf dem höchsten Berg Norwegens. Doch wir konnten nicht an
der Hütte vorbei zum Gipfel. Erst wurde eingekehrt. Im Inneren
sorgte nur ein kleiner Gasofen für etwas Wärme. Die wenigen Gäste
drängten sich um ihn und versuchten wenigstens das eine oder andere
Kleidungsstück zu trocknen. Wir gönnten uns einen Tee / einen
Kaffee, ein paar trockene Kleider und Haferkekse. Warm war es auch
hier nicht – doch es war besser als draussen.
Nach einer halben Stunde machten wir
uns noch schnell auf zum wirklich höchsten Punkt des Landes. Der
Gipfel befand sich nur 20 Meter hinter der Hütte. Die Aussicht war
grandios – wir sahen gerade knapp die Hütte. Doch wir hatten es
wirklich nach ganz ganz oben geschafft. Wir waren wirklich stolz auf
uns als wir uns wieder ans Seil knüpften und uns auf den Abstieg
vorbereiteten. Dieser ging dann viel lockerer als gedacht. Der Wind
liess ein wenig nach und die Graupel liess er auch wo sie waren. Ein
leichter Schneefall und unten ein wenig Regen – doch ansonsten
einigermassen angenehm. Wir waren in dieser Gruppe, dem harten Kern,
auch viel schneller unterwegs und der Rückweg über den Gletscher
dauerte nicht mehr ganz eine Stunde. Irgendwie zog der Abstieg an mir
vorbei und ich war nicht der Einzige, welcher überglücklich an der
Juvasshytta ankam. Was für ein verrücktes Abenteuer. Für uns die
härteste Wanderung, welche wir je unternahmen. Und dies hätten wir
ohne einen Führer nicht gewagt.
R
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Nun waren wir also zurück. Schnell ins
Womo. Schnell die Heizung auf volle Pulle gestellt und uns Wasser für
Tee und Kaffee aufgesetzt. Mit trockener Kleidung und warmen Händen
sah die Welt schon wieder besser aus. Was uns zudem sehr überraschte,
war, dass unsere neuen Jacken den ganzen Tag den Wind und das Wasser
komplett von uns fernhielten. Kein Tropfen kam durch und das bei
wirklich widrigsten Verhältnissen. Ein guter Kauf.
Nachdem wir nun also wieder aufgetaut
waren, machten wir uns auf den Weg runter vom Berg. Das Womo kämpfte
sich wacker die Serpentinen nach unten. Der Gestank der Bremsen drang
auf den letzten Metern wieder bis ins Innere durch und an der
Tankstelle bemerkten wir, dass vorne sogar ein Raddeckel ordentlich
an der Stahlfelge angeschmolzen war. Hier im Tal beschlossen wir dann
auch noch zwei Stunden weiter zu fahren, zum Startpunkt des morgigen
(letzten) Wandertages. Dieser lag beinahe zwei Stunden neben unserer
Route und beinahe schon in Lillehammer. Wir befinden uns also auch
nach beinahe 4 Wochen noch immer im Süden von Norwegen. Irgendwie
kommen wir einfach nicht vom Fleck – wir haben ja aber auch Zeit.
Unser Hauptaugenmerk liegt nach wie vor auf dem Land, dessen höchsten
Punkt wir gerade bestiegen hatten.
Wir unterbrachen die lange Fahrt nur
für das Nachtessen und landeten so gegen 23 Uhr mitten im Nirgendwo
an unserem Übernachtungsplatz. Die letzten 20 Minuten trafen wir
weder ein Auto, noch Menschen und sahen auch keine Häuser. Wir waren
definitiv im Niemandsland angekommen. Wir betrachteten noch ein wenig
die Umgebung, lasen und legten uns schlafen.
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