Donnerstag, 28. Juni 2018

Wandertag III - Galdhoppigen (Top of Norway)

Und ein Tag mehr an dem der Wecker schon früh erklang. Ja ihr habt es bemerkt: momentan sind die Wandertage dran. So auch heute. Und wer wandern will, der muss früh raus. Vor allem wer so hoch hinaus will wie wir. Unser Ziel heute war es so hoch hinaus zu gehen, dass es kein „höher“ mehr gibt in Norwegen. Der höchste Berg Norwegens. Galdhoppigen sein Name, 2469 Meter über Meer die Höhe seines Gipfels. Ja zugegeben: für uns Schweizer keine Höhe bei der wir an hohe Gipfel denken. Das geht schon beinahe unter Hügel. Man bedenke jedoch, dass die Talsohlen sich hier in Norwegen nur knapp über Meereshöhe befinden. Und auch sonst ist hier alles anders. Während bei uns die Baumgrenze bei 1600 Metern über Meer liegt, findet man hier schon ab 900 Metern höchstens noch ein paar Krüppelkiefern (ich bin nicht gemein zu denen – die heissen wirklich so).

So machten wir uns also auf den Weg zu diesem Abenteuer. Unsere Nachbarn dösten noch gemütlich im Womo, als wir bereits die Passstrasse hinunter bretterten. Doch kaum im Tal angekommen, bogen wir zum Sommerskizentrum Juvass und stiegen wieder in die Höhe. Viele Höhenmeter konnten wir so im Womo zurücklegen. Wirklich gemütlich. 10 Kilometer vor dem Startpunkt stoppte uns wieder eine Schrankenanlage, welche wir für 100 NOK (12 Franken) passieren durften. Wieder gut angelegtes Geld, kann man sich so erneut viele Höhenmeter und Kilometer ersparen.

Nach einer wirklich abenteuerlichen Fahrt erreichten wir die Juvasshytta – den Startpunkt der kurzen Route auf den Galdhoppigen. Der Wind blies hier unglaublich stark und wir hatten schon Angst um unser Wohnmobil. Während wir auf dem Parkplatz so im Wind wankten und die dunkeln Wolken um den Berg wehen sahen, kamen erste Zweifel. Wir konsultierten unseren Reiseführer. Dieser beschrieb die lange Route von einem anderen Startpunkt aus. Die Route von der Juvasshytta kennen die beiden Autoren auch nur vom Hörensagen. Doch sie sei leicht und die Gletscherüberquerung auf dem Weg völlig ungefährlich. Doch:
  1. Hat mir meine Mutter beigebracht, dass man vom Hörensagen das Lügen lernt
  2. Haben wir noch nie eine Gletscherüberquerung gemacht
  3. War das Wetter alles andere als optimal
  4. Kennen wir uns mit dem Wetterverhalten in Norwegen nicht aus

Diese vier Punkte liessen uns mehr als nur zweifeln. Bei dem Wind in die dunkeln Wolken zu steigen: zu riskant und wir möchten ja heil wieder nach Hause kommen. Wir entschlossen uns zur einzigen Variante, welche uns noch blieb. Wir erkundeten uns in der Juvasshytta nach einer Tour mit einem erfahrenen Bergführer. Und man bestätigte uns, dass heute um 10 Uhr so eine starten würde. Es war zu dem Zeitpunkt 09:40 und wir hatten noch nichts gepackt. Doch wir bezahlten die 250 NOK (28 Franken) pro Person und beeilten uns. Ich bemerkte beim hastigen Packen noch das Fehlen meiner Handschuhe (liebe Grüsse an sie nach Frauenfeld) und musste mir noch schnell neue in der Hütte kaufen. Dann aber nichts wie an den Treffpunkt.

Ein Team aus vielen Bergführern hiess uns pünktlich Willkommen und die englisch instruierte Gruppe war auch nur gerade sechs Personen stark. So konnten wir die nette Dame mit Fragen löchern. Diese betrafen vor allem das harte Wetter. Und siehe da: dieses Wetter sei hier normal. Der Wind sei ein wenig stark doch alles andere sei wie immer. An 300 Tagen des Jahres kann man vom höchsten Berg Norwegens nicht in die Ferne blicken. Ein Aussichtsberg erwartet einem hier wohl also nicht. Sympathisch war uns auch, dass wir Klettergurte erhielten, man unsere Ausrüstung (Schuhe, Jacke, Hose, Mütze, Handschuhe) auf Tauglichkeit prüfte und unsere Fragen sehr professionell beantwortete. Wir fühlten uns also rundum sicher als wir auf die ersten Kilometer bis zum Gletscher starteten.

Ja das Wandertempo der Gruppe entsprach in diesem ersten Teil nicht gerade unserem. Trotz Wind hätten wir diesen Teil wohl ohne die Gruppe wesentlich schneller zurückgelegt. Doch das war nicht so ein Problem. Denn als wir am Rande des Gletschers standen, wussten wir sofort: hier hätten wir ohne die Führung umgedreht. In erster Linie wegen dem Wetter. Wir froren, während die Führer die Seile bereitlegten und alles dauerte gefühlte Ewigkeiten. Doch nicht nur deswegen: auch die Dimensionen und die Rauheit des Gletschers hätten wir nicht zu bezwingen gewagt. Der Reiseführer suggerierte uns hier, dass einem natürlich zu einer geführten Tour geraten werde. Jedoch unnötiger Weise. Wie sie zu dieser Einschätzung kommen können ist mir schleierhaft. Der Weg über den Gletscher dauert über eine Stunde. Der Weg ist immer gut sichtbar. Doch auch direkt am Weg tun sich teilweise tiefe Gletscherspalten auf, welche man ohne Bergführer beinahe nicht von tiefen Fussstapfen unterscheiden kann. Auch bei Sonnenschein ist das hier für Wanderer ohne Erfahrung ein wahres Minenfeld.

Zum Glück durften wir dieses als Seilschaft mit unserer kompetenten Führung überqueren. Doch die Stunde war eine Qual. Die unbändige Natur Norwegens zeigte sich mit voller Kraft. Der Wind trieb einem immer wieder aus der Spur und wirbelte der Gruppe kleine Graupelkörner ins Gesicht. Wie tausend Nadelstiche fühlten sich diese mit jeder Böe an. Die Graupel begannen auch unsere Hosen und die darunterliegende Thermowäsche zu durchnässen. Ebenfalls die Schuhe und Handschuhe. Nur die Jacke hielt noch dicht. Doch man darf auch im Nachhinein sagen, dass dieser Teil eine absolute Qual und Grenzerfahrung war. Nach der Überquerung des Gletschers waren dann auch viele Teilnehmer der Expedition total am Ende. Es ging fast nicht mehr vorwärts, sodass wir uns am ersten steinigen Grat zu einer Pause gezwungen fühlten. Wir begannen wieder zu frieren, ehe sich über zwei Drittel der Teilnehmer zur Umkehr entschieden. Sicherlich eine weise Entscheidung, wenn man so am Ende war.

Doch wir waren konditionell noch fit. Von diesem Standpunkt aus war es bisher eine Sonntagswanderung. Nur das raue Wetter setzte uns zu. Die letzten 40 Minuten bis zum Gipfel waren dann reines Durchbeissen. Wir erklommen diverse Geröllfelder, überquerten Schneefelder, stapften steile schneebedeckte und eisige Hänge steil nach oben. Die Sicht betrug knappe 50 Meter. So waren wir überrascht, als wir plötzlich vor einer grossen Hütte standen. Der Gipfel war erreicht. Endlich!!! Nach knapp 4 Stunden standen wir wirklich auf dem höchsten Berg Norwegens. Doch wir konnten nicht an der Hütte vorbei zum Gipfel. Erst wurde eingekehrt. Im Inneren sorgte nur ein kleiner Gasofen für etwas Wärme. Die wenigen Gäste drängten sich um ihn und versuchten wenigstens das eine oder andere Kleidungsstück zu trocknen. Wir gönnten uns einen Tee / einen Kaffee, ein paar trockene Kleider und Haferkekse. Warm war es auch hier nicht – doch es war besser als draussen.

Nach einer halben Stunde machten wir uns noch schnell auf zum wirklich höchsten Punkt des Landes. Der Gipfel befand sich nur 20 Meter hinter der Hütte. Die Aussicht war grandios – wir sahen gerade knapp die Hütte. Doch wir hatten es wirklich nach ganz ganz oben geschafft. Wir waren wirklich stolz auf uns als wir uns wieder ans Seil knüpften und uns auf den Abstieg vorbereiteten. Dieser ging dann viel lockerer als gedacht. Der Wind liess ein wenig nach und die Graupel liess er auch wo sie waren. Ein leichter Schneefall und unten ein wenig Regen – doch ansonsten einigermassen angenehm. Wir waren in dieser Gruppe, dem harten Kern, auch viel schneller unterwegs und der Rückweg über den Gletscher dauerte nicht mehr ganz eine Stunde. Irgendwie zog der Abstieg an mir vorbei und ich war nicht der Einzige, welcher überglücklich an der Juvasshytta ankam. Was für ein verrücktes Abenteuer. Für uns die härteste Wanderung, welche wir je unternahmen. Und dies hätten wir ohne einen Führer nicht gewagt.









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Nun waren wir also zurück. Schnell ins Womo. Schnell die Heizung auf volle Pulle gestellt und uns Wasser für Tee und Kaffee aufgesetzt. Mit trockener Kleidung und warmen Händen sah die Welt schon wieder besser aus. Was uns zudem sehr überraschte, war, dass unsere neuen Jacken den ganzen Tag den Wind und das Wasser komplett von uns fernhielten. Kein Tropfen kam durch und das bei wirklich widrigsten Verhältnissen. Ein guter Kauf.

Nachdem wir nun also wieder aufgetaut waren, machten wir uns auf den Weg runter vom Berg. Das Womo kämpfte sich wacker die Serpentinen nach unten. Der Gestank der Bremsen drang auf den letzten Metern wieder bis ins Innere durch und an der Tankstelle bemerkten wir, dass vorne sogar ein Raddeckel ordentlich an der Stahlfelge angeschmolzen war. Hier im Tal beschlossen wir dann auch noch zwei Stunden weiter zu fahren, zum Startpunkt des morgigen (letzten) Wandertages. Dieser lag beinahe zwei Stunden neben unserer Route und beinahe schon in Lillehammer. Wir befinden uns also auch nach beinahe 4 Wochen noch immer im Süden von Norwegen. Irgendwie kommen wir einfach nicht vom Fleck – wir haben ja aber auch Zeit. Unser Hauptaugenmerk liegt nach wie vor auf dem Land, dessen höchsten Punkt wir gerade bestiegen hatten.

Wir unterbrachen die lange Fahrt nur für das Nachtessen und landeten so gegen 23 Uhr mitten im Nirgendwo an unserem Übernachtungsplatz. Die letzten 20 Minuten trafen wir weder ein Auto, noch Menschen und sahen auch keine Häuser. Wir waren definitiv im Niemandsland angekommen. Wir betrachteten noch ein wenig die Umgebung, lasen und legten uns schlafen.

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