Dienstag, 19. Juni 2018

Preikestolen

Ja das mit dem frühen zu Bett gehen hat auch gestern wieder einmal nicht funktioniert. Schuld war dieses Mal mein Buch, das nach 250 Seiten sich genau gestern dazu entschloss, doch noch sehr spannend zu werden. Irgendwann siegte die Vernunft aber doch noch und wir löschten das Licht und zogen ins Land der Träume. Lange sollte der Besuch dort aber nicht dauern. Wir erwachten gegen 3 Uhr in der Nacht, weil jemand an unserem Womo rüttelte. Es war der Wind, oder eher schon der Sturm. Ein Blick nach draussen zeigte, dass sich die Sträucher bis zum Boden bogen und auch in den anderen Womos brannte Licht. Unglaublich wie der Wind peitschte und die Wassertropfen des Regens an die Aussenhaut unseres Wohnmobils schmetterte. Es war einem teilweise schon fast ein wenig mulmig. Das Meer, welches an der Stelle in einer Art Bucht lag, war immerhin genauso ruhig wie am Abend vor dem Wind. Und ein Umstellen des Fahrzeuges erschien uns bei dem Wind als noch gefährlicher. Nach etwa 30 Minuten war der Spuk vorbei, alle Womos noch an ihrem Ort und das Licht wurde nach und nach bei allen wieder gelöscht. So auch bei uns.

Um 06:00 klingelte erbarmungslos der Wecker. Doch der Regen prasselte unaufhörlich auf das blecherne Dach. Wir entschlossen uns den Wecker um eine Stunde nach hinten zu verschieben und ich war darüber auch gar nicht so böse. Um 7 Uhr dasselbe Spiel und auch um 8 Uhr war es keinen Deut besser. So war es eben doch schon 9 Uhr als wir uns aus den Federn wagten und uns an den Frühstückstisch setzten. Den Anderen schien es gleich zu ergehen und erst jetzt begannen die Fahrzeuge nach und nach den Platz zu verlassen. Wir checkten nochmals das Wetter und entdeckten, dass der Nachmittag besser wird. Nicht gut, aber besser.

Beinahe 12 Uhr war es, als wir den Parkplatz des Preikestolen erreichten. In unserem Reiseführer wurden wir schon vorgewarnt, dass der Parkplatz (unabhängig von der Dauer) 150NOK (um die 17 Franken) kostet. Vor Ort waren die 150 auf dem Schild aber überklebt und durch ein 200NOK (23 Franken) ersetzt worden. Ja auch die Norweger wissen wo man das Geld holen kann. Geboten kriegt man dann eigentlich nichts ausser einem schiefen Kiesplatz, auf dem die Womos immerhin einen separaten Bereich haben, jedoch spätestens bis Mitternacht verschwunden sein müssen.

Das Wetter hielt sich nicht genau an die 12Uhr-Marke und wir machten es unseren Parkplatznachbarn gleich und warteten noch ein wenig im Womo. Den gröbsten Regen überbrückten wir so mit Kaffee und lesen. Doch um 12:40 ging es dann endlich los. Der Regen liess nach und wir stürzten uns auf die Wanderung zum Preikestolen. Ja diese Sehenswürdigkeit muss man sich erarbeiten. 2 Stunden dauert der Weg zu der Felskanzel und es handelt sich dabei um eine Gebirgswanderung. Nichts von einer geteerten Fussgängerautobahn oder schönen Treppen. Über Stock und Stein kämpft man sich über 300 Höhenmeter und 4 Kilometer zum Brocken. 





Wir waren gut dabei und kamen auch sehr gut vorwärts. Wir waren aber auch gut ausgerüstet. Gebirgswanderschuhe, Regenjacke, Regenhose, Rucksack. Was wir an Leuten überholten und was uns entgegen kam, liess uns nur den Kopf schütteln. Touristen in Jeans (sind super wenn sie nass sind), Regenponchos (die günstigen zum Überwerfen), Turnschuhen, leichten Stoffschuhen und sogar ohne Jacke. Alles war hier wieder einmal unterwegs. Auch wie die Leute manchmal über die kleinsten Felsblöcke auf allen Vieren umher kriechen lässt vermuten, dass dies der erste Kontakt mit der Natur ist. Wir finden es jedenfalls super, dass hier noch keine Seilbahn hochfährt und jeder sich den Preikestolen erkämpfen muss. Genau eine Stunde und fünf Minuten nach Abmarsch wanderten wir über eine Kuppe und blieben abrupt stehen. Vor uns ging es ziemlich gerade hinunter bis zum Lisefjord und ein bisschen weiter rechts erblickten wir unser Ziel. Und das in der Hälfte der angegebenen Zeit.



Wir waren überwältigt. Über 600 Meter geht es hier senkrecht hinunter, bis Wasser der vielen Luft ein Ende setzt. Unbeschreiblich. Plötzlich wird der Weg immer enger (nur im Kopf) und der Schwerpunkt des Körpers verlagert sich wieder ungemein. Mein Gefühl hatte mehr Schräglage als an manchem Sonntagmorgen wenn ich gegen 2 Uhr nach Hause laufe. Doch wir schafften es auf die Plattform, wo sich diverse Leute schon aufhielten. Trotz des Wetters fanden auch heute riesige Menschenmassen zum Preikestolen. Dies spiegelte jedoch auch unsere Erwartung anhand der Menschenschlange welche sich über den Weg bis hierhin zog. Trotzdem konnten wir relativ gut und ungestört Fotos schiessen, den Blick in die unglaubliche Tiefe wagen und gemütlich unsere Brote verspeisen.



Ja der Preikestolen ist eine grosse Nummer. Wir dachten uns, dass man, hat man wie wir die Cliffs of Moher in Irland schon gesehen, hier in etwa dasselbe erwarten kann. Doch der Preikestolen ist ganz anders. Wirklich wie aus dem Fels gehauen steht die ebene Plattform da und es geht wirklich senkrecht nach unten. Noch nie habe ich so eine Höhe erlebt und gespürt.

Kurz nach dem Essen und dem Schiessen der Fotos zog Nebel auf und der Regen, welcher uns bisher nur ganz ganz leicht ab und zu berieselt hatte, setzte ein. Er sollte die erste Hälfte des Abstiegs unsere Jacken langsam durchnässen und uns fror es auch ein wenig. Wir waren auch innen nass – jedoch eher vom Schwitzen beim Aufstieg. Der Abstieg war dann in derselben Zeit geschafft, sodass wir in den angegebenen 2 Stunden für den Aufstieg gleich auch noch den Abstieg schafften. Kurz vor erreichen des Womos schüttete es nochmals richtig um unsere mittlerweile nur noch feuchten Klamotten nochmals richtig zu durchnässen. So wurde eben alles ins Bad, unsere Trockenkammer, gehängt und die Heizung ordentlich aufgedreht.

Wir nutzten das Wifi am Parkplatz um uns noch ein wenig über die geplante (oder eben noch nicht geplante, also eher gewünschte) Reise zum Kjeragbolten zu informieren. Leider wird das Wetter die restliche Woche nicht besser. Diese 6 Stundenwanderung mit 800 Höhenmetern und sehr schwierigem Terrain macht dieser Umstand doch zu einem eher riskanten Unternehmen. Da auch die Fähre hin und zurück (oder der Bus aus Stavanger) mit ca. 300 Franken zu Buche schlagen würde, ist es auch noch ein teurer Ausflug. Und wenn wir dann wetterbedingt nicht zu diesem berühmten Stein vordringen können, wäre dies ein teurer Flop. Wir haben bereits so viele tolle Dinge gesehen und haben noch so vieles vor uns, dass wir auch einmal etwas auslassen können. Alles kann man sowieso nicht besuchen. Wo kämen wir denn hin, würden wir jeden schönen und speziellen Ort in Norwegen besuchen. Und wer weiss... vielleicht kommen wir ja wieder und dann brauchen wir ja auch noch was um uns zu freuen.

Wir machten uns danach also auf den Weg runter vom Berg. Wir wollten noch ein wenig in Richtung Norden fahren. Nicht weit aber ein wenig. Denn hier auf dem Parkplatz darf man auch für 23 Franken nicht übernachten und der Kiesplatz am Ende der Stichstrasse nennt sich Camping und nimmt einem pro Nacht wohl ungefähr das Doppelte ab. Wofür die Leute das bezahlen wo man doch in Norwegen fast überall übernachten darf? Wir wissen es nicht.

Nur ein paar Kilometer weiter machten wir nochmals einen kurzen Halt an der Hauptstrasse. Nur ein paar Schritte entfernt konnte man wieder antike Felsritzungen betrachten. Melanie bekommt beim Anblick dieser schon lange kein Herzklopfen mehr. Ja okay – ich auch nicht. Aber die hier waren so nahe an der Route und versprachen ausnahmsweise ein paar andere Motive als die bekannten Schiffe und Menschen von weiter südlich. Naja – so prickelnd waren dann auch die neuen Sujets nicht und wir machten uns bald auf den weiteren Weg. Dieser endete nach wiederum 30 Minuten Fahrt an einem wundervollen See. Hier stehen wir umsonst mit Seesicht auf dem grünen Rasen und geniessen die Sonne, welche sich heute zum ersten Mal durch ein klitzekleines Loch in den Wolken zeigt. Unser Nachbar im Westen könnte auch in der Heimat beinahe unser Nachbar sein. Das Nummernschild ist schwarz und ist mit dem Wappen des Fürstentums Lichtenstein geschmückt. Hier bleiben wir nun und hoffen auf eine weniger stürmische Nacht.





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